WISSENSCHAFT
Der russisch-ukrainische Krieg zerstört große Teile der Infrastruktur des Landes. Das wirkt sich auch auf das Gesundheitssystem aus. Die EU könnte helfen – einen ersten Schritt dazu geht sie jetzt.
Krankenhäuser sind beschädigt und zerstört, Medikamente fehlen, Infektionskrankheiten nehmen zu. Der russische Krieg in der Ukraine trifft das Land hart. Das Gesundheitssystem ist überlastet. In den ersten drei Kriegsmonaten gab es in der Ukraine 256 Angriffe auf Einrichtungen, Transportmittel und Personal der Gesundheitsversorgung. Das zeigt der wöchentliche Lagebericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Situation im Land.
Dabei hat die Ukraine erst vor wenigen Jahren begonnen, ihr Gesundheitssystem zu reformieren. Seit 2017 versucht das Land, die jahrzehntelangen strukturellen Probleme zu bekämpfen. Der Staat führte eine Gesundheitsversorgung ein, die sich an den Bedürfnissen der Patient:innen anstatt an Krankenhäusern und Ärzt:innen orientieren soll. Er erstattet Kosten für Arzneimittel bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Typ-2-Diabetes. Wer als Ärzt:in arbeiten will, braucht bessere Abschlussnoten als vor der Reform. So will der Staat die Qualifikationen erhöhen.
Maksym Obrizan ist Professor an der Kyiv School of Economics und arbeitet als Gastdozent im Bereich Gesundheitsökonomik an der Universität Duisburg-Essen. Er berät denWHO-Rat für die Ökonomie der Gesundheit für alle und forscht zum ukrainischen Gesundheitssystem. Obrizan stammt selbst aus der Ukraine und macht auf den Zustand dort aufmerksam: „Meine Heimatstadt Krementschuk war in den Nachrichten, doch ich würde es vorziehen, wenn sie nicht überall auf der Welt zu sehen wäre“, sagt er.
Ein System mit jahrzehntelangen Problemen
Obrizan kennt die Situation in der Ukraine gut. Er erzählt, der Staat habe seit der Reform 33 Krankenhäuser, 132 Notaufnahmen und 237 ländliche Ambulanzen rekonstruiert und neu gebaut. „Ich war überrascht, dass mein Vater in das Krankenhaus in meiner Heimatstadt gehen konnte. Der Staat hat das Geld verwendet, um den Menschen zu helfen“, sagt der Ökonom.
Diese Entwicklungen sind nicht selbstverständlich. Zuvor prägten Probleme das Gesundheitssystem der Ukraine. Wie in den meisten sozialistischen Ländern finanzierte der Staat das System, zahlte die Gehälter und zentralisierte medizinische Einrichtungen. So sollten alle Menschen freien Zugang zur Gesundheitsversorgung haben.
In der Realität sah das anders aus. Das damalige Gesundheitssystem galt zwar als kosteneffizient, ermöglichte eine grundlegende Versorgung und kontrollierte Infektionskrankheiten. Der Staat führte aber kaum neue Technologien ein. „Das System war überbesetzt mit Ärzten und Krankenhausbetten, aber unterausgestattet mit medizinischem Zubehör“, sagt Obrizan. Außerdem habe es einen großen Unterschied zwischen der Versorgung in der Stadt und auf dem Land gegeben. „In ländlichen Gebieten mussten die Menschen 20 Kilometer mit dem Bus fahren, um eine grundlegende Versorgung zu bekommen“, schildert Obrizan. Bis vor ein paar Jahren hat sich daran nichts geändert. „Die Ukraine hat es nicht geschafft, ihr Gesundheitssystem dem europäischen Standard anzunähern“, sagt Obrizan.
Nun droht das Land, in diese Phase zurückzufallen. Helfen könnte aus Obrizans Sicht die Europäische Union. Die Ukraine versucht schon länger, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Seit Ende Juni hat das Land den Kandidatenstatus inne. „Es ist für die Ukraine entscheidend, der EU beitreten zu können“, sagt Obrizan. Bisher erfüllt das Land dafür aber nicht alle Kriterien. In Bezug auf das Gesundheitssystem unterstützt die EU die Ukraine aber: Das Land bekommt Zugang zum Programm EU4Health. Damit soll die Ukraine ihr Gesundheitssystem wieder aufbauen können.