WISSENSCHAFT
Die Erderwärmung trägt zur Versauerung der Meere bei. Das betrifft Korallen besonders: Sie bleichen aus und sterben ab. Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) untersuchen Reaktionen der Korallen auf die Klimaveränderungen. Sie setzen sich mit dem wenig erforschten Phänomen des Polyp-Bailouts auseinander.
Korallenriffe haben eine sehr hohe Artenvielfalt. In den Riffen tummeln sich diverse Meeresbewohner wie Riffmanta, Schnecken, Würmer, Krebse und Fische. „Hier quillt es nur so über vor Leben. Die Korallen bilden mit vielen anderen Lebewesen eine stark vernetzte Gemeinschaft mit vielen direkten Abhängigkeiten“, erklärt Fabian Gösser, Doktorand am RUB-Lehrstuhl für Evolutionsökologie und Biodiversität der Tiere. Die Forschungsergebnisse von Gösser, seinem Kollegen Dr. Maximilian Schweinsberg und Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Ralph Tollrian wurden in der Fachzeitschrift Ecology and Evolution veröffentlicht.
Obwohl man die Vermutung nahe liegt, sind Korallen keine Pflanzen, sondern Tiere. Sie gehören wie Seeanemonen und einige Quallen zur Gattung der Nesseltiere. Korallen setzen sich aus vielen einzelnen Polypen zusammen. Die von den Forschern untersuchten Steinkorallen bilden Skelette aus Kalk. „Auf diese Weise sind sie in der Lage, massive Strukturen und gewaltige Riffe zu formen“, erläutert der Biologe. Korallen leben in Symbiose mit Algen zusammen: Beide Seiten brauchen einander zum Überleben. „Die Korallen bieten diesen Algen nicht nur einen geschützten Lebensraum, sondern auch CO2 und Nährstoffe. Im Gegenzug geben die Algen den Korallen Fotosynthese-Produkte wie Zucker und Lipide ab“, verdeutlicht der Doktorand. Algen unterstützen somit die Steinkorallen bei der Kalkbildung und sind außerdem für die Farbgebung der Korallen verantwortlich.
Polypen verlassen das sinkende Schiff
Ein Temperaturanstieg stört das Zusammenspiel erheblich, da nun jede Partei mehr Nährstoffe für sich selbst braucht. Statt zu teilen, werden die Nährstoffe zurückgehalten und für sich verwendet. Die Korallen entledigen sich der Algen, was fatale Folgen hat: Die Korallen bleichen aus. „Auf die Dauer halten die Korallen das nicht aus. Sterben sie, sterben mit ihnen noch weitere Rifforganismen“, weiß Gösser. Das Team um den Doktoranden untersucht, wie Steinkorallen auf eine veränderte Umwelt wie eine höhere Meerestemperatur reagieren. Von besonderem Interesse ist hierbei der wenig erforschte Polyp-Bailout. Darunter versteht man den Ablösungsprozess von Polypen, die durch eine stressbedingte Reaktion der Korallen auf Umwelteinflüsse ausgelöst werden. Die winzigen Polypen lösen sich ab, um sich an einem anderen Ort anzusiedeln.

Bei ihren Versuchen im Aquarien-Labor konnten die Forscher interessante Erkenntnisse sammeln: „Die einzelnen Polypen haben sich als Reaktion auf einen Temperaturanstieg um vier Grad Celsius über ihrer Toleranz aus der Korallenkolonie gelöst und sozusagen das sinkende Schiff verlassen“, berichtet der Biologe. Das Bemerkenswerte ist hierbei, dass die Polypen nach dem Loslösen aus der Kolonie woanders weiter wuchsen. „Selbst, wenn nur ein geringer Anteil den Ablösungsprozess überlebt, hätte das immense Folgen für den Erhalt der Korallenpopulation, die genetische Diversität und das Überleben der Riffe“, verdeutlicht Gösser den Stellenwert der Forschung.
Auch wenn die Ergebnisse vielversprechend sind, ist Gösser um den Erhalt der Korallenriffe besorgt: „Man geht fest davon aus, dass wir die Korallenriffe in ihrer jetzigen Form verlieren werden, wenn es mit der Erderwärmung so weitergeht. Wenn die Steinkorallen aussterben, verschwinden auch viele Rifforganismen.“