WISSENSCHAFT
Gefängnis und Sexualforschung: Wie kommt das zusammen? Prof. Dr. Johannes Fuß ist neuer Professor für Forensische Psychiatrie der Fakultät für Medizin an der Universität Duisburg-Essen (UDE) und Leiter des Instituts für Forensische Psychiatrie und Sexualforschung am LVR-Klinikum in Essen. Wir haben mit ihm über seine Längsschnittstudie und andere Projekte gesprochen, die sich mit der Auswirkung von Haft auf das Gehirn und das menschliche Verhalten beschäftigen.
Das primäre Ziel der Vollstreckung einer Haftstrafe ist die Resozialisierung von Staftäter:innen. An erster Stelle soll nicht die Strafe vergolten, sondern es soll Prävention betrieben werden. „Deshalb drängt sich die Frage auf, ob eine Inhaftierung tatsächlich diesem Ziel dient”, erklärt Prof. Dr. Fuß. „Verändert sich das Verhalten der Menschen tatsächlich in die Richtung, dass sie weniger impulsiv, gefährlich und straffällig werden?”
Um diese Frage zu beantworten möchte Fuß, für die weitere Forschung mit Inhaftierten, ein mobiles neurowissenschaftliches Labor am LVR-Kinikum errichten. Dort werden die Inhaftierten in eine virtuelle realitätsnahe Situation gesetzt. Einer der entwickelten Tests lehnt sich dabei an einen Verhaltenstest im Tierreich an: „Die Menschen befinden sich auf einer virtuellen Plattform und zwei Holzplanken reichen über den Abgrund”, so Fuß. Dabei wird gemessen, wie lange es dauert bis die Teilnehmenden sich trauen, die Planken zu betreten und wie viele Risiken sie eingehen.” Um möglichst nah an der Realität zu bleiben, laufen die Teilnehmenden über echte Holzplanken. „Neulich haben wir diesen Test in der Kapelle eines Gefängnisses aufgebaut, um bei den inhaftierten Menschen den Zusammenhang zwischen Risikofaktoren für Straftaten und das Verhalten in diesem Test zu untersuchen”, berichtet der UDE-Professor.
Tests ausschließlich an männlichen Insassen
Fuß erforscht in einem weiteren Forschungsschwerpunkt die menschliche Sexualität. Dabei untersucht er den Zusammenhang zwischen einer Inhaftierung und dem Sexualverhalten: „Es hat in Deutschland eine lange Tradition, dass forensische Psychiatrie und Sexualforschung an denselben Instituten gelehrt und geforscht werden”.
Forensische Psychiatrie
Die forensische Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie und beschäftigt sich mit der Begutachtung, Unterbringung und Behandlung von psychisch kranken Straftäter:innen. Die forensische Psychiatrie beantwortet Fragen, die das Gericht oder Behörden im Themenbereich Psychiatrie haben. Gutachten in der Forensik haben mehr Bedeutung als in anderen medizinischen Bereichen, weil ihnen freiheitsentziehende Maßnahmen folgen können.
Bisherige Tests werden ausschließlich an männlichen Insassen unternommen. In den kooperierenden Haftanstalten wurden im Studienzeitraum nicht genügend Frauen inhaftiert, um adäquate Untersuchungen zum Faktor Geschlecht durchführen zu können. „Das haben wir uns aber für die Zukunft vorgenommen”, so Fuß. Die Straftäter lassen sich in den ersten Tagen der Inhaftierung und nach einem Jahr der Inhaftierung untersuchen. Darauffolgend werden die Ergebnisse der Verhaltens- und Gehirnveränderungen im MRT mit den Ergebnissen von Menschen verglichen, die aus der Untersuchungshaft entlassen wurden und sich zur selben Zeit in Freiheit befanden.
Eine Frage, die durch diese Tests beantwortet werden soll ist, wie die Diagnose Sexsucht sich auf die Verurteilung von Straftätern, die klinische Versorgung und die gesellschaftliche Stigmatisierung auswirkt. „Es ist seit langem bekannt, dass es Menschen gibt, die ihre Sexualität als unkontrollierbar erleben. Was geschieht, wenn die empfundene Unkontrollierbarkeit als Sucht, als Normvariante oder als psychische Erkrankung klassifiziert wird?”, so Fuß. Die Studie soll Antworten geben auf die Frage, ob Konzepte über Diagnosen Richter:innen, Kiniker:innen oder die Allgemeinbevölkerung beeinflussen.

In Fuß’ Forschung kommt es des Weiteren zum Einsatz von Sexrobotern. Es soll herausgefunden werden, ob der Gebrauch von diesen Robotern einen therapeutischen Nutzen haben kann. „Im Moment werden hochrealistische Sexpuppen bereits von Menschen genutzt, die mit diesen in einer Partnerschaft leben und angeben, diese zu lieben”, so Prof. Dr. Fuß. „Andere Menschen nutzen die Puppen im sexuellen Bereich, weil der Sex mit reellen Menschen nicht funktioniert oder weil sie ihre Fantasien so besser ausleben können.” Durch die zunehmende Realitätsnähe und die Möglichkeit, durch künstliche Intelligenz mit den Puppen zu kommunizieren, könne es dazu kommen, dass das Thema in der Zukunft gesellschaftlich mehr Raum einnehme. Das Forschungsteam um den UDE-Professor versucht heute schon zu verstehen, wie Menschen mit Sexrobotern interagieren und sich durch sie beeinflussen lassen.