WISSENSCHAFT
Nuklearwaffen sind in der Lage, innerhalb von Sekunden ganze Städte zu zerstören und Tausende Menschen zu töten. Um das zu verhindern, müssen die Kernwaffen-Staaten kooperieren und Vertrauen untereinander schaffen. Ob und wie das möglich ist, erforscht Dr. Carmen Wunderlich von der Universität Duisburg-Essen (UDE).
„Von den derzeit neun Staaten, die über Kernwaffen verfügen, sind fünf Länder als offizielle Atomwaffenstaaten durch den Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag (NVV) anerkannt: China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA”, erklärt Dr. Carmen Wunderlich. „Sie alle haben vor 1967 eine Kernexplosion durchgeführt.” Der Vertrag verpflichtet die Atomwaffen-Staaten dazu, Kernwaffen nicht weiterzugeben und andere Staaten nicht bei der Herstellung dieser zu unterstützen. Des Weiteren regelt der NVV die Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung und die Kooperationen der Vertragsmitglieder zur friedlichen Nutzung von Kernenergie. Insgesamt 190 Staaten haben den NVV unterzeichnet. Länder, die nicht im Besitz von Kernwaffen sind, verpflichten sich durch den Vertrag keine Kernwaffen zu entwickeln oder zu erwerben. Ihre zivilen Anlagen werden regelmäßig von der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) überprüft.
„Durch die IAEO wird ein engmaschiges Kontrollsystem umgesetzt, um die Vertragseinhaltung zu überprüfen”, so die Politikwissenschaftlerin. Damit Verifikationsmaßnahmen angewendet werden können, muss jegliches Spaltmaterial der Staaten den Inspektor:innen der IAEO zugänglich sein. Unter anderem wird dabei kontrolliert, ob die Angaben zum Spaltmaterialfluss (zum Beispiel die Abgabe von Plutonium an andere Länder) vollständig und korrekt sind. Weitere Maßnahmen, um eine Vertragseinhaltung zu überprüfen können unter anderem die Entnahme von Umweltproben vor Ort oder die Auswertung von Satellitenbildern sein.
Warum eine Vertragseinhaltung stetig überprüft werden muss, zeigt ein Täuschungsversuch Nordkoreas 1992. Die IAEO findet unter Anwendung neuer Verifikationstechniken heraus, dass die abgegebene Menge des Spaltmaterials Plutonium und die Messungen der Inspektor:innen nicht übereinstimmen. „Nach mehrjährigen diplomatischen Lösungsbemühungen wurde schließlich 2002 bekannt, dass Nordkorea ein geheimes Urananreicherungsprogramm unterhält”, führt Wunderlich aus. Nordkorea erklärt daraufhin seinen Rücktritt vom NVV. Ein weiterer Täuschungsversuch kommt 1990 im Irak durch Ermittlungen des Geheimdienstes ans Licht. Zusätzlichen erklären Rumänien (1992) und Libyen (2003) freiwillig, nukleare Waffenprogramme betrieben zu haben.
Kann man Putin vertrauen?
Zusammen mit ihrem Team versucht Wunderlich herauszufinden, wie sich die Sozialisation in den jeweiligen Ländern auf Weltbilder und politische Identitäten auswirkt. „Aber auch auf die gegenseitige Wahrnehmung, Rollen- und Feindbilder, Emotionen oder (Un-)Gerechtigkeitsvorstellungen”, sagt Wunderlich. „Wir wollen untersuchen, wie diese Faktoren auf den Prozess der Vertrauensbildung einwirken.” Dabei geht es sowohl um die Vertrauensarbeit zwischen Inspektor:innen und staatlichen Behörden als auch um das Vertrauen bei der Beurteilung von durch Verifikationsmaßnahmen gewonnenen Informationen. Ziel des Projekts ist es, eine konkrete Handlungsempfehlung für zukünftige Verifikationsprozesse auszuarbeiten. Diese soll Auskunft darüber geben, wie Vertrauensbildung in unsicheren Kontexten glücken kann.
Laut Wunderlich kann man sich nicht zu hundert Prozent darauf verlassen, dass sich Staaten an die Vereinbarungen halten. Erst zuletzt drohte Russlands Präsident Wladimir Putin im Zuge des Angriffskrieges auf die Ukraine mit der Nutzung von Atomwaffen. Wie ist es möglich, einem Mann zu vertrauen, der sich mehrfacher Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat? „Putin hat bewiesen, dass man ihm nicht vertrauen kann. Der Angriff auf die Ukraine stellt einen Bruch des Budapest Memorandums dar”, erläutert Wunderlich. Darin sicherte Russland der Ukraine wirtschaftliche und territoriale Integrität zu - als Gegenleistung für den Verzicht auf Nuklearwaffen.
Dass Putin es zum Einsatz von Atomwaffen kommen lässt, glaubt Wunderlich dennoch nicht: „Die Kosten eines Bruchs des nuklearen Tabus wären zu hoch. So rational ist Putin dann doch.” Sie ist der Meinung, dass der Einsatz von Kernwaffen nicht im strategischen Sinne Russlands sein kann. Doch auch, wenn sie die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes als gering einschätzt, könne man ein solches Szenario nicht komplett ausschließen: „Ein Blick in die Geschichte zeigt heute, wie oft schieres Glück eine nukleare Eskalation verhindert hat. Hier ist es wichtig, besonnen zu handeln. So, wie es die NATO bislang getan hat. Und sich nicht auf das Spiel mit dem nuklearen Feuer einlassen.”