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WISSENSCHAFT

Die Fehler der Homöopathie

Für ihre Äußerungen zur Homöopathie erhielt Natalie Grams sogar Morddrohungen.
[Foto: Dorothée Piroelle]
30.01.2020 11:31 - David Peters

Immer wieder wird kontrovers über das Thema Homöopathie diskutiert. Die einen halten sie für eine sanfte Alternativmedizin, die anderen für Humbug. Dr. Natalie Grams ist Ärztin und war viele Jahre überzeugte Homöopathin. Inzwischen kritisiert sie die Homöopathie und hat auch mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben. Im Februar erscheint ihr neuestes Buch: Was wirklich wirkt.

ak[due]ll: Frau Grams, was ist Homöopathie überhaupt?

Natalie Grams: Viele Menschen verwechseln die Homöopathie mit Naturheilkunde – denn so wird sie auch immer beworben. Aber der große Unterschied ist, dass in den meisten homöopathischen Mitteln, aufgrund ihrer Herstellung, der sogenannten Potenzierung, gar keine Moleküle des Ursprungsstoffes mehr vorhanden sind. Selbst wenn in dem Mittel mal eine naturheilkundliche Pflanze war, dann ist spätestens ab einer Potenzierung D24 [D1 entspricht einer Verdünnung von 1:10] gar nichts mehr davon vorhanden. Das Prinzip der Homöopathie ist aber gar nicht, dass sie glaubt über die Physiologie zu heilen, sondern der Erfinder Samuel Hahnemann hat vor 200 Jahren die Idee aufgestellt, dass eine immaterielle Lebenskraft bei Krankheit verstimmt ist und man diese nur mit energetisch wirkenden Mitteln wieder in einen harmonischen Fluss bringen könne. Ein solches immaterielles Medikament muss dann über das Prinzip der Ähnlichkeit individuell ausgewählt werden. Bei all diesen Punkten weiß man heute, dass Hahnemann zwar innovativ gedacht hat, aber sich getäuscht hat.

ak[due]ll: Die Wirkstoffe in den homöopathischen Mitteln sind also so stark verdünnt, dass sie kaum noch nachweisbar sind. Helfen die dann überhaupt noch?

Grams: Nicht über den Placebo-Effekt hinaus. Man verbindet mit jedem Medikament eine gewisse Erwartung und über die Homöopathie hört man viel Positives. Sie wäre sanft, nebenwirkungsfrei und nicht von „Big-Pharma“ hergestellt, sondern ganz individuell verordnet. Meist nimmt sich der Therapeut auch noch Zeit für die persönliche Beratung. All diese positiven Attribute führen tatsächlich dazu, dass die Homöopathie zu einer positiven Veränderung beitragen kann, aber sie tut das keinesfalls in Sinne eines spezifisch wirksamen Arzneimittels, das in Körperprozesse gezielt und nachweisbar eingreift. Stattdessen läuft das im Rahmen von Placebo- und Kontext-Effekten, also mehr auf einer psychologischen Ebene. Das ist nicht nichts, aber eben keine Arzneitherapie und es ersetzt auch keine solche.

ak[due]ll: Der ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen, Hans-Christian Ströbele, schrieb auf Twitter: „Wenn Globuli unwirksam sind, dann gibt’s auch keine schlimmen Nebenwirkungen.“ Was halten Sie von solchen Aussagen?

Grams: Ein Medikament oder eine Therapie, die keine Nebenwirkungen hat, steht unter dem schweren Verdacht auch keine Hauptwirkung zu haben. Das ist bei der Homöopathie auch der Fall. Klar, es ist nichts drin in diesen Mitteln, was schaden kann, aber der Schaden entsteht dadurch, dass man im Glauben an die Homöopathie eine wirklich wirksame Therapie unterlässt oder verzögert und dadurch eine Krankheit verschleppt oder Folgeschäden eintreten können. Das sind für mich die Nebenwirkung der Homöopathie. Ganz abgesehen davon, dass sie offenbar auch dem rationalen Denken schadet, sogar bei Politikern.

ak[due]ll: Sie gelten als erklärte Gegnerin der Homöopathie, haben aber auch lange Zeit als Homöopathin gearbeitet. Wie kamen Sie überhaupt dazu?

Grams: Ich bin zur Homöopathie gekommen, wie wohl die allermeisten Menschen. Ich hatte Beschwerden, gegen die ich Globuli eingenommen habe und danach waren die Beschwerden besser. Für mich war der Zusammenhang eindeutig. Ich habe mir keine kritischen Fragen mehr gestellt und lange Zeit auch von außen keine zugelassen. In der Tat war es so, dass sich nach der Einnahme meine Beschwerden gebessert haben, aber ist es auch deswegen geschehen? Das kann die Homöopathie eben nicht nachweisen und das ist mir erst lange Zeit später bewusst geworden, als ich eigentlich ein Buch schreiben wollte, um die Homöopathie zu verteidigen. Da bin ich auf den typischen menschlichen Denkfehler, wie diesen „danach, aber nicht deswegen“-Fehlschluss, gestoßen. Der ist nicht nur in der Medizin bekannt. Im Rahmen dieser Weiterentwicklung auch meines eigenen Denkens bin ich dann den Fehlern der Homöopathie auf die Schliche gekommen (lacht). Die hätte man eigentlich auch schon vorher sehen können.

ak[due]ll: Inzwischen setzen Sie sich dafür ein über Homöopathie aufzuklären. Warum ist das so wichtig?

Grams: Das ist einerseits natürlich eine persönliche Motivation, weil ich denke, ich habe da einen Fehler als Ärztin gemacht. Obwohl ich wissenschaftlich ausgebildet bin, habe ich an die Homöopathie geglaubt. Da habe ich Glauben und Wissen verwechselt und davor würde ich andere, gerade auch junge Medizinstudierende, gerne bewahren. Zum anderen denke ich auch, dass es nicht sein kann, dass wir wissen wie wichtig Fakten sind, wissen wie schwierig Fake-News sind, gerade in Zeiten des grassierenden Populismus umso mehr, und nichts dagegen sagen.

In der Medizin geht’s nicht nur um Wellness sondern um die Gesundheit und manchmal sogar das Leben. Doch da ist die Homöopathie ein Paradebeispiel dafür, dass wir uns da auf gefühlte Wahrheiten und nicht auf Fakten verlassen. Wenn man bei der Homöopathie verstanden hat, wie man kritisch denkt und hinterfragt, wie man Quellen auswertet, dann hat man das hoffentlich auch in vielen anderen Lebensbereichen verstanden. Unterm Strich wünsche ich mir also nicht nur die Aufklärung über ein paar Globuli, sondern ein insgesamt kritischeres und aufgeklärtes Denken.

ak[due]ll: Halten Sie es für richtig, dass an Universitäten, wie an der UDE, Homöopathie gelehrt wird?

Grams: Es kommt darauf an, was da gelehrt wird. Wenn man die Homöopathie als medizingeschichtliches Phänomen und als populären Irrtum in der Medizin betrachtet und darüber aufklärt, was die Denkfehler sind oder was Wissenschaft von Pseudowissenschaft unterscheidet, dann fände ich das sogar sehr wünschenswert, wenn die Homöopathie im Lehrplan bleibt – gerne auch im Pflichtteil. Wenn es aber darum geht, welche Globuli bei Erkältung oder einer Lungenentzündung zu verabreichen sind, dann hat es nichts im medizinischen Lehrplan zu suchen.

ak[due]ll: Einige Krankenkassen übernehmen die Kosten von homöopathischen Behandlungen. Wie sehen Sie das?

Grams: Häufig wird es nicht deutlich, dass keiner von uns Kritikern für ein Verbot der Homöopathie ist. Jeder, der aufgeklärt ist und homöopathische Mittel einnehmen möchte, kann das natürlich tun. Aber keinesfalls kann es sein, dass eine Solidargemeinschaft, und unsere Krankenkassen sind eben solidarisch finanziert, für nachweislich unwirksame Verfahren aufkommt. Da ist auch ein Neudenken überfällig, deswegen appellieren wir immer wieder an die Krankenkassen, diese freiwilligen Leistungen zu streichen. Und wir appellieren an die Politik, diese Gesetzeslücke zu schließen. Im Moment dürfen die Krankenkassen das nämlich finanzieren. Wir finden, das ist nicht mehr zeitgemäß.

ak[due]ll: Was bräuchte es denn, damit die Homöopathie nicht mehr als wirksame Behandlung wahrgenommen wird?

Grams: Ich denke, bei der Aufklärungsarbeit ist es wichtig zu verstehen, dass viele Menschen mit großer Glaubenskraft daran hängen. Das hat viel damit zu tun, dass die Menschen vom medizinischen Alltag und wie dort mit ihnen umgegangen wird enttäuscht sind und das zu Recht. Wir müssen die Humanmedizin dahingehend verbessern, dass sie humaner wird und diesen Wunsch nach einer Alternative obsolet machen. Wir sind nicht gegen Homöopathie – wir sind für gute Medizin und solange wir Zeit und Geld in ein pseudomedizinisches Verfahren, wie die Homöopathie stecken, fehlt uns das in der Verbesserung der wirklichen Medizin.

ak[due]ll: Sie selbst sind wegen ihrer Haltung zur Homöopathie Anfeindungen ausgesetzt, wie äußert sich das?

Grams: Es ist immer wieder erstaunlich, welche Emotionen da hochkochen. Das beginnt bei Beleidigungen in den sozialen Netzwerken oder mit Verschwörungstheorien, ich sei für die Kritik bezahlt, und reicht bis hin zu Morddrohungen oder tätlichen Angriffen auf Vorträgen. Deswegen musste ich auch schon Vorträge unter Polizeischutz halten. Und wenn man sich vor Augen führt, dass es hier um ein medizinisch-wissenschaftliches Sachthema geht, dann ist das immer wieder erschreckend.

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