STUDIUM & FREIZEIT
Einer der wichtigsten Wendepunkte zu Beginn eines Semesters ist die Verteilung der Referatsthemen. Langfristige Planungen und manchmal sogar die Endnote hängen davon ab, welches Thema oder welchen Präsentationstermin man bekommt. Umso wichtiger ist es, schnell zu sein. Verdammt schnell.
Stille. Während der Dozierende spricht und sein Konzept vorstellt, herrscht absolute Stille. Nur der eine Typ, der irgendwie in jedem Seminar auftaucht, hat vergessen sein Mikrofon Stumm zu schalten. Es ist 8 Uhr am Samstagmorgen und der Dozierende spricht und spricht und spricht. Nach den ersten 10 Minuten hört niemand mehr zu, da alle Studierenden im Seminarplan vertieft sind und entscheiden müssen, welches Referatsthema in ihren prall gefüllten Kalender passt, denn die meisten sind erwerbstätig, haben einen oder mehrere Nebenjobs. Der Dozierende spricht weiter über die Relevanz des Seminars. Relevant ist für uns nur eines: das Referat.
Es gibt noch weitere Faktoren, die bei der Entscheidung berücksichtigt werden müssen: Erstens, niemand will Erste:r sein. Selten will man aber auch Letze:r sein, weil man am Ende des Semesters bereits in Prüfungsvorbereitungen steckt. Also muss jede:r die im Seminarplan vorgestellte Literatur durchgehen. In welcher Sprache ist die Literatur? Nicht jede:r ist gut in Englisch. Wieviel Literatur muss ich lesen? Wie viele Referatspartner:innen könnte ich bekommen? Arbeite ich lieber alleine? Ist dieses Referatsthema dafür geeignet zum ersten Mal in einem Team zu arbeiten? All diese Fragen beantwortet man in den letzten Minuten, bevor der Dozierende Folgendes sagt: „So nun kommen wir zu dem Teil, der Sie wahrscheinlich am meisten Interessiert!“
Die letzten Kompromisse werden in Gedanken beschlossen. Die Anspannung ist im digitalen Seminarraum zu spüren. Wie in einem alten Italo-Western schauen sich die Studierenden mit zugekniffenen Augen an. Wer ist schneller? Wer wird sich zuerst melden? Schreien die anderen einfach nur rein? Benutzen sie die Meldefunktion? So viele Möglichkeiten! Ich höre die Mundharmonika hohe Töne aus der Ferne blasen. Meine Finger zucken. Alle warten auf die namentliche Nennung des jeweiligen Themas. High Noon. Die Kirchenglocke ist der Dozierende: „So, und wer will „Haushalt und Wirtschaftlichkeitsberechnungen“ als Thema behandeln?“ Ich zeige selbstbewusst auf, bekomme das Thema und trage das Datum in meinen Kalender. Das Referat ist Zukunftsmusik in der Recherche-Wüste, die ich noch durchqueren muss. Aber für’s Erste habe ich überlebt.