SCHWERPUNKT
Mit etwa 65 Prozent männlichen Nutzern ist die Live-Streaming-Plattform Twitch männerdominiert. Die Sichtbarkeit von weiblichen Streamerinnen steigt stetig, auch wenn sie hart erkämpft werden muss. Für Lizzy, aka @Lizzycolle auf Twitch, ist das Streamen von Games eine Leidenschaft. Sie erzählt von sexistischen Erfahrungen, die zur Normalität werden, aber auch von der Unterstützung, die sie von ihrer Community erhält.
„Als Frau hat man es sowieso leichter“ – ein typischer Kommentar, den sich jede Frau, die streamt, schon mal von einem Mann anhören musste, sagt Lizzy. Doch diese Aussage habe nichts mit dem Gameplay, sprich dem Erfolg beim Spiel, zu tun, sondern nur mit dem Aussehen, auf das die Frau vor der Kamera reduziert wird. „Vielleicht klicken Männer eher auf den Stream, weil sie Hintergedanken haben. Aber, dass sie dann auch da bleiben, ist viel schwieriger“, weiß Lizzy. Die 24-Jährige streamt seit anderthalb Jahren Videospiele und hat über 5.700 Follower:innen. Ihr Erfolgsrezept: Community-Nähe. „Man sollte auf die Leute eingehen und sich ehrlich für sie interessieren. Durch Sympathie und Humor bleiben sie dann auch.“
Wie nicht nur Lizzys Erfahrung zeigt, ist das Bild von Frauen auf Twitch immer noch verdreht. Männliche Streamer beschweren sich seit Jahren über Frauen, die ihre Optik dafür nutzen, um Unmengen an Geld auf Twitch zu verdienen. Die Wahrnehmung der Männer, dass weibliche Streamerinnen ihnen mit sogenannten „Hot Tub“-Streams die Zuschauer:innen wegnehmen, kann seit spätestens letztem Jahr widerlegt werden. Ein Hackerangriff auf Twitch hat bestätigt, was viele bereits wissen: Die Mehrheit der erfolgreichsten Schöpfer:innen auf der Plattform sind Männer. Die Zahlen sind schockierend. Von den 100 erfolgreichsten Streamer:innen sind nur drei Frauen. Selbst dort ist die Gender-Pay-Gap enorm: So verdient der Gamer auf Platz eins, CriticalRole, jährlich 9,6 Millionen Dollar, während die erste weibliche Streamerin auf Platz 39, pokimane, 1,5 Millionen verdient.
Twitch reagiert auf die Vorwürfe, dass leicht bekleidete Frauen ein Problem auf der Plattform darstellen folgendermaßen: „Wir haben zwar Richtlinien zu sexuell anzüglichen Inhalten, aber von anderen als sexy angesehen zu werden, verstößt nicht gegen unsere Regeln, und Twitch ergreift keine Zwangsmaßnahmen gegen Frauen oder andere Personen auf Twitch, die als attraktiv wahrgenommen werden.“ Ein Verbot von Inhalten, die als anzüglich interpretiert werden könnten, würde zu weitaus mehr Einschränkungen bei den Videospielen führen, so Twitch. Sie verweisen auf weibliche Charaktere, die objektifiziert oder in einer sexualisierten Weise dargestellt werden.
„Du bist sowieso hässlich, also hoff mal nicht.“
Um in der Welt des professionellen Gamings groß rauszukommen, müssen sich Frauen gegen altmodischen Sexismus und neue Formen der Belästigung behaupten. „In der Zeit, in der ich streame, mussten leider schon über 200 Leute aus meinem Chat gebannt werden“, erzählt Lizzy. Dass Leute in ihren Stream kommen, um anzügliche oder beleidigende Kommentare zu hinterlassen, bleibt nie aus. „Am Anfang hat es mich noch ein wenig verunsichert. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt, es gehört dazu“, gibt Lizzy preis. Dann liest sie einige Kommentare vor: „,Was laberst du für eine Scheiße, du bist sowieso hässlich, also hoff mal nicht.‘ ‚Mein Yarak kriegst du.‘ ‚Streng dich an, dann bleib ich. Oder du spielst in einem Hot Tub, das geht auch.‘“ Häufig bekommt sie das Wort Schlampe zu hören, wird nach Fußbildern oder Onlyfans gefragt. Zum Teil kommen sie in großen Gruppen in den Chat, wie Lizzy erzählt: „Letztens habe ich Apex gezockt und dann kamen fünf Leute auf einmal mit dem Kommentar ‚würde ich‘ in den Chat, was so viel bedeutet wie: ‚Mit der würde ich schlafen‘.“

Lizzy hat fünf Moderator:innen, vier Männer und eine Frau, die ihr im Stream dabei helfen, solche Kommentare zu unterbinden. „Jeder Streamer und jede Streamerin ist auf gute und zuverlässige Moderatoren angewiesen”, erzählt sie. Auch ihre Community bei Twitch ist sehr beschützerisch. „Unverschämte, anzügliche oder beleidigende Kommentare gegen mich werden von niemandem im Chat toleriert und ich werde immer lieb verteidigt.” Generell passiere das nur online, wenn die Leute anonym sind, spricht Lizzy aus Erfahrung. „Im echten Leben reagieren alle positiv darauf, dass ich streame. Egal, ob Mann oder Frau, ich habe noch nie blöde Kommentare bekommen“, verrät sie. Als sie noch Warzone gespielt hat, hatte sie entsprechende Zuschauer:innen, die wegen dem Multiplayer Ego-Shooter da waren, erzählt sie. „Mittlerweile bin ich an einem Punkt, bei dem die Leute wegen mir da sind und nicht nur wegen des Spiels und das ist unheimlich viel wert.“ So streamt sie unter dem Format „Just Chatting“, in dem sie nur stundenlang mit den Leuten quatscht. „Meine Community zieht mit. Sie begleitet mich bei Multiplayer-Shootern wie Apex, Storyspielen wie Horizon: Zero Dawn, Horrorspielen und Kochstreams“, so Lizzy.
Gender-Marketing
Dass Frauen dafür anerkannt werden, Videospiele zu zocken, musste hart erkämpft werden. Vor dem großen Video-Game-Crash in den Achtzigern war die Branche weitgehend geschlechtsneutral. Sogenannte Arcades waren Orte für die ganze Familie, um Games zu spielen. Viele Frauen waren sowohl auf der Führungs- als auch auf der Entwicklungsebene tätig. Als 1983 der Markt zusammenbrach, weil er mit minderwertigen Produkten überschwemmt wurde, musste die Industrie einen Ausweg suchen. Videospiele wurden nun als Beschäftigung für den jungen Mann vermarktet. Konsolen landeten in der „Jungsabteilung“. Die Werbekampagnen hatten auch Einfluss auf die Spiele selbst, etwa auf die für Männer kreierten Hauptcharaktere. Die Gaming-Industrie gab Männern das Gefühl, sie sei nur für sie gemacht.

Inzwischen wissen Plattformen wie Twitch, wie wichtig Diversität ist. „Twitch lebt und atmet vielfältige Communitys“, so Damian Burns, Senior Vice President EMEA bei Twitch. Sie feiern jährlich den „Women’s History Month”, um weiblich gelesene Creator:innen zu unterstützen und sichtbar zu machen. Auch Lizzy gibt nicht auf, ihre Leidenschaft zum Hauptberuf machen zu können. Obwohl die Gaming-Welt manchmal hart sein kann, habe sie noch nie darüber nachgedacht, aufzuhören. „Ich habe da so viel Herzblut reingesteckt und meine Community supportet mich sehr“, sagt Lizzy stolz.