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LOKALES

Rassismusvorwürfe gegen die WAZ Essen

Was ist guter Lokaljournalismus? [Foto: pixabay]

08.07.2020 12:25 - Sophie Schädel

Zeitungen können nie komplett neutral berichten. Doch was ist legitim und was kritikbedürftig? Diese Frage stellt sich aktuell in Essen. Dem dortigen Ableger der Lokalzeitung WAZ wird Rassismus vorgeworfen. Die WAZ hatte sich in einer Umfrage auf Facebook umgehört, was ihren Leser*innen an der Essener Innenstadt gefällt und was sie stört. Über 100 Essener*innen nahmen an der Umfrage teil. Ihre Kritikpunkte gruppierte die Redaktion anschließend zu vier Hauptproblemfeldern – und titelte: „Darum meiden Essener die City: Parken, Euroshops, Migranten“. Gegen diesen Artikel und die, wie sie es beschreibt, „rassistische Hetze“ der Funke Medien Gruppe, zu der auch die WAZ Essen gehört, wendet sich nun eine Petition.

Am 26. Juni erschien in der WAZ der Artikel, der die Kritik aus der Redaktionsumfrage zusammenfasst. Neben Beschwerden über hohe Parkgebühren und Müll in den Straßen gibt die WAZ darin wörtliche Zitate ihrer Umfrageteilnehmenden wieder, ohne sie zu kontextualisieren, einzuordnen oder die darin behaupteten Fakten recherchiert zu haben.

Rechtsextreme und Biker*innen in Essen: Versuch einer Vernetzung

Zu einer Demo gegen Fahrverbote kamen am Essener Messegelände in Rüttenscheid nur 300 Menschen. Die Hälfte davon waren Rechtsextreme.
 

So wird beispielsweise Hans Messling-Lins mit den Worten zitiert: „Ich bin nicht rechts, und habe nichts gegen Ausländer aber dort ist es mir einfach zuviel“, und eine Karin Colpan behauptet: „Es gibt kaum noch Deutsche, die dort einkaufen. Die Sprache, die am meisten zu hören ist, ist nicht deutsch.“
Diese und weitere Aussagen veröffentlichte die WAZ unter der Zwischenüberschrift „Unbehagen angesichts vieler migrantischer Männergruppen“. Dort sortiert Redakteur Sinan Sat auch Aussagen ein, die sich gar nicht auf Migrant*innen beziehen: „Das Angebot wird immer schlechter und das Publikum auch“, wird dort beispielsweise ein Reinhard Rohland zitiert, und Charly Wienand sagt: „Wenn man am Bahnhof von Horden junger Männer empfangen wird und in der Fußgängerzone das gleiche Publikum zu finden ist, dann verzichte ich.“ Weshalb diese Aussagen so interpretiert wurden, dass sie im Kontext zu Migrant*innen stehen, obwohl sie nicht erwähnt werden, wollte die Funke Medien Gruppe auch auf wiederholte Nachfrage der akduell nicht erklären.

Die meisten Zitate unter besagter Zwischenüberschrift richten sich hingegen sehr wohl explizit gegen Migrant*innen. „Heutzutage habe ich als Frau Angst vor Kriminellen aus aller Herren Länder. Seit 2015 ist nichts mehr wie es einmal war“, schrieb jemand unter dem Pseudonym Ela Lo. Daran, dass solche Aussagen in einer Lokalzeitung Raum bekommen, störten sich offenbar einige Leser*innen. Erst auf Twitter und in den Kommentaren, nun gibt es eine Petition.

Eine Plattform für Rassismus?

Der Artikel gebe Bürger*innen „eine Plattform, ihr rassistisches und klassistisches Weltbild zu veröffentlichen“, wird dort kritisiert. Die Petition stellt vier Forderungen: eine öffentliche Stellungnahme der Funke Medien Gruppe, die Zusage, sich nicht mehr als „Plattform für rechte Propaganda“ herzugeben, und dass „rechte Hetzartikel“ wie dieser „nicht nach einem Tag hinter der Paywall verschwinden“. Außerdem solle Funke „davon absehen, rassististische Suggestivfragen zu stellen“. Auch zu dieser Petition gab Funke auf Nachfrage der akduell keine Auskunft.

Die Schreiber*innen der Petition bezeichnen die Wiedergabe der Statements über Migrant*innen als „offensichtlich rassistisch“ und „geistige Brandstiftung“. „Es wird von einer diffusen Angst vor Menschen geschrieben, die eine andere Sprache als Deutsch sprechen würden. Migrantinnen werden mit Kriminalität gleichgesetzt“, so die Begründung. Solche Texte seien gefährlich, auch im Wissen über den rechten Mord an Walter Lübcke und den Terror in Halle und Hanau. Aktuell unterzeichneten knapp 150 Menschen die Petition, 500 sind das Ziel.

Sinan Sat, Autor des kritisierten Texts, nahm wenige Tage darauf in einem neuen Artikel Stellung zur Kritik. Die Umfrage sei nicht repräsentativ, doch man habe „zahlreiche Lesermeinungen veröffentlicht, die die Kritik der Essener an ihrer Innenstadt authentisch dokumentieren“, schreibt Sat dort. Der Rassismusvorwurf „ist nicht nur haltlos, diffamierend und wird von der Redaktion entschieden zurückgewiesen – er spiegelt auch eine aus den Fugen geratene Diskussionskultur wieder, die in Essen zuletzt auch in unsäglichen Rassismusvorwürfen gegen die Polizei deutlich zu Tage getreten ist.“ Vermutlich bezieht Sat sich dabei auf mehrere Demonstrationen in letzter Zeit, die Tode und Verletzungen schwarzer Menschen im Essener Polizeigewahrsam anprangerten.

Stimmen, die manchmal wehtun

Die WAZ fühlt sich offenbar unfair behandelt. „Die Wortführer blenden geflissentlich aus, dass sich unsere Redaktion nicht nur unmissverständlich klar dafür ausspricht, dass sich jeder Migrant in die hiesige Gesellschaft integrieren muss, sondern selbstverständlich genauso deutlich klarstellt, dass niemand wegen seiner Herkunft oder Religion benachteiligt oder angefeindet werden darf“, kritisiert Sat in der Stellungnahme. Gleichzeitig bekundet er Verständnis dafür, dass Veränderungen Unbehagen auslösen, wie es dort in Bezug auf die im ersten Artikel zitierten Leser*innen heißt.

Solche Artikel seien Aufgabe einer Zeitung in einer Demokratie.

Das Team für Unternehmenskommunikation der Funke Medien Gruppe stellt sich hinter diesen Artikel. „Man muss als Autor nicht die Meinung der- oder desjenigen teilen, deren Statements man abdruckt. Aber man muss auch diese Stimmen zu Wort kommen lassen. Auch wenn diese manchmal weh tun.“ Die im Artikel zitierten Aussagen seien von der Meinungsfreiheit gedeckt, betont Funke. Solche Artikel seien Aufgabe einer Zeitung in einer Demokratie und wichtig für die lokale Debattenkultur.

Und doch hat ihr Tochterunternehmen rassistische Klischeeaussagen abgedruckt, ohne die darin aufgestellten Tatsachenbehauptungen, wie dass 2015 Kriminelle nach Essen gekommen seien oder nun in der Innenstadt kaum noch deutsch gesprochen werde, mit eigener Recherche zu kontextualisieren. Ob das mit dem Pressekodex vereinbar ist, in dem sich die deutschen Medien auch auf eine diskriminierungsfreie Berichterstattung verpflichten, könnte bald Thema beim Deutschen Presserat werden, an den sich die Petition wendet. Funke hingegen wollte auch zu dieser Frage keine Auskunft geben.

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