LOKALES
Am vergangenen Mittwoch, 18. August 2021, veranstaltete die Dortmunder Gruppe Seebrücke eine Kundgebung in Solidarität mit den Menschen in Afghanistan. Sie forderten eine sofortige Evakuierung aller Ortskräfte und auch all derer, die unter den Taliban um ihre Freiheit oder ihr Leben fürchten müssen. Rund 600 Menschen nahmen an der Kundgebung teil, viele von ihnen sind selbst Afghan:innen.
Typisch für die Seebrücke sind die orangenen Transparente, die bei der Kundgebung auf der Dortmunder Kampstraße gegenüber vom Hauptbahnhof zu sehen waren. Auf ihnen stehen Forderungen wie „Wir klagen an! Menschenrechte sind unverhandelbar.“ Mit Seebrücke ist die Forderung gemeint, Geflüchtete mit Schiffen nach Europa zu evakuieren, um zu verhindern, dass sie auf der Flucht im Mittelmeer ertrinken.
Bei der Kundgebung am Mittwoch wurde eine neue Forderung laut: die nach einer Luftbrücke. Wer unter den Taliban um Leben und Freiheit fürchtet, muss mit Flugzeugen evakuiert werden, verlangten die Redner:innen. Damit haben einige Staaten bereits begonnen, darunter auch Deutschland. Doch kaum Menschen wurden bislang in Sicherheit gebracht, denn die Taliban riegeln den Flughafen ab, und die Flieger sind zu klein für die Tausenden, die verzweifelt versuchen einzusteigen oder sich von außen am Flugzeug festzuhalten.
Bei der Kundgebung auf dem zentralen Dortmunder Platz wechseln sich Redebeiträge mit afghanischer Live-Musik ab. Die Teilnehmer:innen rufen mal deutsche, mal afghanische Parolen. Ein junger Mann bricht in Tränen aus, sein Freund legt die Hände um sein Gesicht und nimmt ihn dann in den Arm, um ihn zu trösten. Dass in Afghanistan so viele Menschen unter der Herrschaft der Taliban festsitzen und keine Lösung in Sicht ist, macht allen hier große Sorgen.
„Wir hatten vorher das Gefühl, die Welt interessiert sich nicht für Afghanistan“
So auch den Cousinen Soraya, Farzana, Soheyla und Zahra. Sie sind in Afghanistan geboren und haben selbstgemalte Schilder zur Kundgebung mitgebracht. „Afghanistan is bleeding“, steht auf dem Plakat, das Soraya hochhält. Zahra hat es gemalt und erklärt: „Viele Menschen sterben gerade in Afghanistan, die nichts gemacht haben und ein ganz normales Leben führen. Darum finde ich schön, dass es heute diese Kundgebung gibt, dass die Menschen das sehen. Wir hatten vorher das Gefühl, die Welt interessiert sich nicht für Afghanistan.“
Das zweite Schild der Cousinen drückt ihre Solidarität mit den afghanischen Frauen aus. „Sie haben keine Rechte“, kritisiert Zahra. „Jetzt wiederholt sich die Geschichte von vor 20 Jahren.“ Damals hatten die Taliban schon einmal die Macht in Afghanistan übernommen. Frauen mussten damals ihrer Auslegung der Scharia folgen. Sie mussten die Burka tragen, hatten keinen Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung, wurden zwangsverheiratet und waren fortan an ihren Ehemann gebunden, ohne den sie nicht einmal aus dem Haus gehen durften. „Dahin wollen wir nicht zurück“, sagt Zahra. „Darum wollen wir besonders die Frauen unterstützen.“
Die vier Cousinen sind nicht in Afghanistan aufgewachsen. „Aber meine Eltern kennen Menschen, die in den Kriegsstädten wohnen“, erzählt Zahra. „Darum machen wir uns große Sorgen. Wir können einfach nichts tun, als hier zu stehen und dafür zu sorgen, dass jemand unsere Stimme hört und die Politik handelt.“
Wenn die Familie in Afghanistan gefangen ist
Arian Hassib kennt diese Sorge um Menschen, die nun in Afghanistan festsitzen. Er erzählt in seiner Rede, dass seine Familie dort blieb. Sie wollten sich in ihrer Heimat etwas aufbauen, berichtet er. „Aber sie haben nicht damit gerechnet, dass Europa, Deutschland und die USA von Demokratie reden und es dann nicht schaffen, die Menschen in Sicherheit zu bringen.“ Er appelliert eindringlich: „Liebe Bundesregierung: Seien Sie mutig, bringen Sie die Menschen hierher.“ Er berichtet, dass seine Brüder als Elektro- und IT-Manager für das amerikanische Militär gearbeitet und für die Bundeswehr übersetzt haben. „Jetzt trauen sie sich nicht mehr aus dem Haus vor Angst“, erzählt er.
Nach ihm spricht eine Rednerin von der Seebrücke, die diese Kundgebung organisiert hat. Sie geht auf die Aussage des Kanzlerkandidaten Armin Laschet ein, 2015 dürfe sich nicht wiederholen. „Beim Anblick der Bilder vom Flughafen in Kabul ist das einfach nur grausam und zynisch“, ruft sie ins Mikrofon. Sie fordert, dass nicht nur Ortskräfte evakuiert werden, sondern: „Wir sind das allen Menschen schuldig, denen jetzt Terror, Folter, Unterdrückung und Verfolgung droht. Asyl ist ein Menschenrecht!“