KULTUR
In der letzten Ausgabe haben wir euch schon einige Alben von BPOC vorgestellt und uns dabei vor allem auf Soul konzentriert. Diesmal blicken wir in eine andere Richtung und stellen für euch einen Mix aus allen möglichen Genres zusammen. Dabei haben wir wieder abseits des Mainstream gefischt, um das Rampenlicht auf Künstlerinnen zu richten, die weniger bekannt sind. Vorsicht – Girl Power incoming!
Nova Twins - Who Are The Girls?, 2020
Bei den Nova Twins ist jeder Song eine gewaltige Explosion. Am wohlsten fühlen sich Georgia South und Amy Love aus London, wenn sie mit dicken Stiefeln auf ihre Effektpedale springen. Wie ein Elektroschock durchzuckt die Gitarre jede Strophe. Mit übermenschlicher Kraft scheinen sie auf ihre Instrumente einzudreschen. Jeder Song ist so mit Bass überladen, dass man zuweilen fast überfordert wird, denn die Nova Twins lassen kaum Gelegenheit aufzuatmen. Das liegt auch an dem ungewöhnlichen Genremix: Punk, Rock, Hip-Hop, Techno, alles braut sich zu einem Hurricane zusammen. Als würde Gwen Stefani eine Punk-Nummer mit Skrillex schreiben oder Missy Elliot Killing in the Name of singen. Nova Twins sind ohne Frage eine Band, die polarisiert. Auch, weil sie politisch sind und gesellschaftliche Probleme wie Rassismus und Sexismus in ihren Texten aufgreifen. Aber auch, weil man die Überladenheit und den Genremix eben mögen muss.
Für Fans von: The Prodigy, Rage Against The Machine, The Transplants
Escort - City Life, 2019
Das Trio aus New York macht seiner Herkunft alle Ehre, denn in den 70ern gilt New York als Disco-Hochburg. Das Wort „Disco“ prangt deshalb in schimmernder Paillettenschrift über jedem Beat von Escort. Auch auf der aktuellsten Veröffentlichung dominieren schillernde Sounds und mitreißende Melodien. Escort lieben Kitsch und Glitzer. Die Platte ist ausgeschmückter als eine Bijou Brigitte-Filiale. Der Tanzschweiß riecht nach künstlichem Nebel und die Füße wollen nichts mehr, als in Plateausohlen über die Tanzfläche zu grooven. Escort machen Musik für Abende, an denen nur der nächste Beat zählt. Auf lyrische Meisterleistungen und bedeutungsschwangere Texte verzichten die Party People deshalb. Stattdessen finden sich auf City Life astreine Disco-Nummern wie Josephine, die stark an Acts wie Earth, Wind and Fire erinnern. Das moderne Outta My Head wäre dagegen trotz 80er-Anleihen, die an Erasure denken lassen, gut in den Charts aufgehoben – eine echte Empfehlung für eure Party-Playlist.
Für Fans von: Donna Summer, Kygo, Dua Lipa
Otoboke Beaver – Itekoma Hits, 2019
Wären Hornissen so groß wie Zwergspitze (und stünden sie nicht unter Naturschutz), wäre Itekoma Hits die ideale Hintergrundmusik, um das störende Hornissennest in der Garage mit bloßen Händen runterzuschlagen – und sich gegen die erzürnten Insekten zu wehren. In nur knapp 27 Minuten krakeelt sich die japanische Hardcore-Punk-Band Otoboke Beaver durch 14 Songs. Es wäre leicht, ihnen Anspruchslosigkeit vorzuwerfen oder zu behaupten, ihre Musik sei lediglich Krach. Doch das würde ihr Talent fürs Songwriting kriminell unterschlagen. Unter der schwerverzerrten akustischen Wand versteckt sich eine überraschende musikalische Raffinesse. Innerhalb von Sekunden springen Otoboke Beaver zwischen explosiven Vocals und Instrumentenprügelei zu groovy Rhythmen im Stil der frühen Arctic Monkeys hin und her – oder neigen zu kurzen Peinlagen. Die stetig wechselnde Dynamik führt unweigerlich zur Frage, ob man es bei Itekoma Hits nicht zufällig mit einer postmodernen Interpretation des Progressive-Rock-Genres zu tun haben könnte. Dass sie ausschließlich auf Japanisch singen, hemmt die Hörerfahrung kaum. Otoboke Beaver zeigen: An vier wuterfüllten Frauen in grellbunten Kleidern gibt es erstaunlich wenig fehlzuverstehen.
Für Fans von: Hardcore Punk, den frühen Arctic Monkeys, Wut
Als würde Gwen Stefani eine Punk-Nummer mit Skrillex schreiben
Rina Sawayama – Sawayama, 2020
In 13 Liedern führt Sawayama ihre Hörer:innen durch ein Museum der Popmusik der letzten 20 Jahre. Am Ende der Führung zerschlägt sie den Laden mit einem Baseballschläger in seine Einzelteile und zündet auf den Trümmern ein Feuerwerk. Streckenweise blitzen Erinnerungen an Evanescence, Britney Spears oder Christina Aguilera durch. Hinzu kommen schwere Gitarrenriffs, moderne Clubsounds und sanfte Keys im stetigen Wechsel. Teils mischt Sawayama sogar diverse Genres im selben Song. Trotz der Zitierfreudigkeit und Sprunghaftigkeit wirkt die Platte weder antiquiert noch unfokussiert. In den Lyrics behandelt unter anderem ihre Familienprobleme, singt von Depressionen, übt Kritik an Geschlechterbildern und maßlosem Konsum oder proklamiert, dass Familie die Menschen sind, die wir als Familie bestimmen. Aufgrund seiner musikalischen und thematischen Weitläufigkeit ist Sawayama ein Multifunktionsalbum. Es bietet eine tröstende Schulter, einen Raum zum Tanzen, ein Hochhausdach zum Sonnenaufgang bewundern und einen Zufluchtsort für die dunkelsten Stunden.
Für Fans von: Popmusik der letzten 20 Jahre, Konventionsbrüche