KULTUR
Japanische Kulturgüter wie Pokémon, Dragon Ball Z oder Sushi haben sich zu echten Exportschlagern im Westen entwickelt. Wie sieht es aber mit Eurobeat aus? Wenn ihr früher gern Animes geguckt habt, ist es gar nicht mal so unwahrscheinlich, dass ihr zumindest schon mal einen Eurobeat-Song gehört habt.
Strenggenommen ist Eurobeat keine japanische Erfindung, wie auch schon der Name vermuten lässt. Europäische Tanzmusik, hauptsächlich Italo Disco, die von Japaner*innen gemeinhin mit dem Sammelbegriff Eurobeat bezeichnet wurde, erfreute sich während der späten 80er- bis in die frühen 90er-Jahre großer Beliebtheit im Land der aufgehenden Sonne. Die Popularität ihrer Musik in Japan ging nicht an den europäischen Produzent*innen vorbei. Besonders bei Masato Matsuura, einem der Gründer des japanischen Unterhaltungskonzerns Avex, schien die Begeisterung für Eurobeat nicht abzuebben.
Matsuura entschied sich, nach Europa zu reisen und den italienischen Produzenten Giancarlo Pasquini zu treffen, der später als Dave Rodgers massive Erfolge in der Eurobeat-Szene feiern sollte. Als Ergebnis dieses Treffens veröffentlichte Avex in Kooperation mit Rodgers im November 1990 den Eurobeat-Sampler Super Eurobeat Vol. 9, der speziell für den Geschmack japanischer Hörer*innen produzierte Lieder enthielt. Gleichzeitig sollte die Veröffentlichung des Samplers die Geburtsstunde des Eurobeat-Genres, mittlerweile auch als Super Eurobeat bekannt, darstellen.
Kurze Zeit später sicherte sich Avex die Rechte an den ersten acht Compilations, die sie mit leicht veränderten Tracklisten unter ihrem Label erneut herausbrachten. Bis heute wurden über 240 CDs unter dem Banner „Super Eurobeat“ veröffentlicht.
Für eine Hand voll Tofu
Seinen ersten großen Popularitätsschub – auch auf einer internationalen Ebene – erlangte Eurobeat durch sein Vorkommen im Anime Initial: D, der ebenfalls von Avex veröffentlicht wurde. Initial: D handelt vom 18-jährigen Takumi Fujiwara, der im Tofurestaurant seines Vaters Bunta aushilft und jeden Morgen vor der Schule Tofu an ein Hotel liefert, das an der Spitze eines Bergpasses liegt. Die Lieferungen fährt er im Toyota Sprinter Trueno - von Rennsportfans auch liebevoll AE86 oder Panda genannt - seines Vaters. Warum ich so großen Wert darauf lege, den ganzen Namen des Kleinwagens zu nennen? Er ist, genau wie Eurobeat, zu einem Markenzeichen von Initial: D geworden - nicht zu letzt, weil Takumi diesem Auto bis zum Ende der Serie treu bleibt. Wenn ihr auf Youtube nach Eurobeat-Mixen sucht, werdet ihr auf vielen Vorschaubildern einen AE86 sehen.
Um eine sehr lange Geschichte sehr kurz zusammenzufassen: Takumi erweckt mit Hilfe seiner unkonventionellen Rennexpertise die Aufmerksamkeit von zwei der talentiertesten Fahrer der Gunma-Region, besiegt sie in einem Rennen, und avanciert im Verlauf der sechs Staffeln zu einem der besten Fahrer der japanischen Untergrundrennszene.
"Eurobeat ohne Initial: D ist genau so unvorstellbar, wie Initial: D ohne Eurobeat."
Alle Rennen der Serie wurden mit Eurobeat-Liedern untermalt, was, behält man Lizenzinhaber Avex im Hinterkopf, keine Überraschung ist. Die Kombination schneller, dynamischer Songs mit adrenalinreichen Verfolgungsjagden wurde zu dem wichtigsten Erkennungsmerkmal des Anime. Eurobeat ohne Initial: D ist genau so unvorstellbar, wie Initial: D ohne Eurobeat. Eine Neuauflage der ersten Staffel wurde – trotz der hochwertigen Produktion – von den Fans abgelehnt, da die Eurobeat-Lieder durch Hip-Hop-Songs ersetzt wurden.
Im Verlauf der letzten Jahre erlebte Eurobeat eine zweite Renaissance. Ein nicht zu unterschätzender Teil des Internets begann, drei der beliebtesten Eurobeat-Songs, Running In The 90s, Gas Gas Gas und Déjà Vu, als Hintergrundmusik für beispielsweise Videospielmontagen oder Parodievideos zu verwenden. Das verhalf nicht nur dem Eurobeat, sondern auch Initial: D zu einer erneuten Popularitätswelle – dieses Mal auch auf dem westlichen Markt. Bis heute haben allein die drei meistgeklickten Videos dieser Songs zusammen über 125 Millionen Aufrufe.
Volle Kraft voraus
Die Themenauswahl im Eurobeat lässt sich buchstäblich an einer Hand abzählen. In der Regel drehen sich die meisten Songs um Liebe, Autos, die Romantisierung des japanischen Stadtlebens, vor allem des Lebens in Tokyo, sich voller Energie zu fühlen oder Eurobeat selbst. Mit der steigenden Beliebtheit von Initial: D wurden zudem Songs speziell für die Serie geschrieben .
Das rhythmische Gerüst jedes Eurobeat-Liedes sind ein treibender Schlagzeug-Beat sowie ein pulsierender Bass, der entweder Oktaven oder einfache Grundtonfolgen spielt. Beide Instrumente treten nie wirklich in den Vordergrund und schaffen dadurch die Grundlage für den wahren Star der Show: die Synthesizer.
Während sich die Synthesizer innerhalb der Strophen oder Refrains weitestgehend zurückhalten, blühen sie in allen Passagen ohne Gesang in Form von kraftvollen, hektischen Läufen auf und schaffen es, jedem Song einen Energiegehalt zu verleihen, der einem Studi mit dreifacher Überdosis Koffein in der Nacht vor der Klausur die Stirn bietet. Manche Interpret*innen, zum Beispiel Dave Rodgers oder Max Coveri, fügen ihren Liedern verzerrte Gitarren hinzu, deren Riffs und Soli an diverse Heavy-Metal- sowie Hard-Rock- Songs der 80er-Jahre erinnern.
Para Para
Einer der Gründe, für den überwältigenden Anklang Eurobeats ist Para Para. Das ist eine aus Japan stammende synchronisierte Tanzform und für jeden Song eine feste Choreografie hat. Die ursprünglichen Italo-Disco-, und später Eurobeat-Songs, waren sehr leicht im Para Para tanzbar und schafften den Sprung nach Japan gerade dann, als die Para Para-Bewegung im Kommen war. Dave Rodgers sagte in einem einem Interview mit der Website The World of Italo Disco: „Eurobeat ist so schnell, dass nur Para Para dazu getanzt werden kann.“
Schrecklich schön, schön schrecklich
Wenn ihr euch denkt: „In den 90ern festhängende Musik und belanglose Themen – klingt nach unfassbarem Kitsch“, habt ihr absolut Recht. Eurobeat ist Kitsch in Reinkultur – und das macht es zu etwas Besonderem. Das Genre ist eine Zeitkapsel, ein Liebesbrief an den Zeitgeist der 90er-Jahre, sowohl akustisch als auch inhaltlich. Die Lieder versprühen Enthusiasmus sowie Positivität, ohne weichgespült zu wirken. Sie sind eingängig, ohne wie viele andere Popsongs musikalisch unaufgeregt zu klingen.
Glücklicherweise hat es Spotify jüngst geschafft, sich die Rechte an einigen Eurobeat-Liedern zu sichern, die auch in Initial: D vorkamen. Die sind nicht nur aufgrund des Anime ikonisch, sondern gehören auch zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Sofern ihr Interesse habt, in die Welt des Eurobeat einzutauchen, solltet ihr unbedingt in die Super Eurobeat presents Initial D Vol. 1 & 2 Playlisten reinhören. Ansonsten könnt ihr nach den Tracklisten der sechs Initial: D-Staffeln suchen, um die Crème de la Crème des Eurobeats zu finden.