GESELLSCHAFT
Ich wurde begrapscht. Und ich wollte mich wehren. Im Affekt brachte ich nichts anderes fertig, als dem Täter in der Höflichkeitsform hinterherzurufen. Er ging, ich blieb geschockt zurück, mit Fragen: Warum ist gerade sexuelle Beschämung so interessant für (manche) Männer? Wie kann ich reagieren, um meinen verletzten Gefühlen gerecht zu werden, ohne mich in Gefahr zu begeben?
Eine Kolumne von Julika Ude | CN: Sexuelle Belästigung. Ich habe Belästigung durch Männer erfahren und gendere im Text deswegen nicht. Damit sollen Übergriffe durch andere Geschlechter keinesfalls heruntergespielt werden.
Während ich mit einer Freundin am Telefonhörer den Plan für den Abend bespreche, lege ich einen kleinen Stopp ein und befreie meine Schultern vom Gewicht meines Gepäcks. Der Weg vom Hauptbahnhof zu ihr ist nicht weit, mit meinem überfüllten Beutel heute aber besonders mühsam. Ich suche mir einen freien Platz zwischen den Personengruppen, stelle die Tasche ab und hocke mich hin, die Knie leicht auf die Tasche gestützt. Ich rede weiter ins Telefon und starre dabei nichts ahnend nach vorne – als sich plötzlich eine Männerhand von oben an meinem Gesicht vorbeischiebt. Direkt verschwindet sie wieder aus meinem unteren Sichtfeld. Bis ich verstehen kann, was passiert, grapscht sie mich an – zwischen meinen Beinen.
Geschockt blicke ich hoch, direkt in das dreckige Lächeln eines fremden Mannes. Reflexartig klammern sich meine Augen an seine Gestalt und verfolgen ihn dabei, wie er sich belustigt von seinem Bück-Manöver aufrichtet, das Gesicht langsam von mir abwendet und seines Weges gehen will, so als wäre nichts passiert.
„Julika? Bist du noch dran?“, höre ich die Stimme meiner Freundin aus dem Hörer rufen. „Ehh, warte mal ganz kurz“, stelle ich sie ruhig. Panisch versuche ich einen Gedanken in meinem Kopf zu greifen und zu entscheiden: Habe ich mir eingebildet, dass mir dieser wildfremde Typ gerade auf offener Straße zwischen die Beine gefasst hat? Wut und Ekel steigen in mir auf, ich will den Typ in seine Schranken weisen. Aber da ist sie wieder, die Frage: Wie?! Alles, was ich schaffe, ist, zwei Schritte hinter ihm her zu laufen und ihn im Affekt sogar zu siezen: „Was ist Ihr scheiß Problem?!“
Warum ist sexuelle Beschämung so interessant für (manche) Männer‽
Dass ich den Mann überhaupt konfrontiert habe, ist mehr, als ich sonst gemacht habe. Obwohl es sich falsch anfühlt, meine Wut in solchen Momenten nicht auszudrücken, habe ich es bei übergriffigen Handlungen häufig bei bösen Blicken belassen. Ich dachte: „So lasse ich mir die Laune zumindest nicht weiter vermiesen.” Aber das Thema beschäftigt mich weiter. Wenn ich eine Form sexueller Belästigung sehe oder spüre, schießen zwei Fragen in meinen Kopf.
Erstens: Warum tun (manche) Männer das? Immer und immer wieder? Uns zu objektifizieren, sexualisieren, zu erniedrigen? Sich über uns lustig zu machen und uns zu beschämen? Was, anderes als pure Machtausübung, soll das sein? Wenn Männer Frauen hinterherpfeifen oder ihnen ungefragt sexuelle Fantasien entgegen stöhnen, während sie im Auto vorbeirauschen oder – wie in diesem Fall – einer mir die Hand zwischen die Beine steckt und dann grinsend davonrennt, wird wohl kaum eine langfristige Kontaktaufnahme das Ziel sein. Nicht, dass ein tatsächliches Interesse an Kontakt dieses Verhalten rechtfertigen würde.
Der Typ, der mir zwischen die Beine gefasst hat, war alleine. Sich vor seinen Gruppenmitgliedern profilieren zu wollen, konnte also nicht der Grund gewesen sein. Ist es „nur”, um der anderen Person gegenüber Macht auszuüben? Wenn es doch einzig darum ginge, könnte er mir ein Machtgefälle auch anders demonstrieren. Mich umzuschubsen hätte in der Situation auf der Hand gelegen. Wieso passiert die Machtdemonstration unbedingt sexualisiert, füttert das deren Ego aus irgendwelchen Gründen besonders stark?
Meinen Gefühlen Raum geben, mich aber nicht in Gefahr bringen
Zweitens: Wie kann man in solchen Situationen reagieren? Es ist nicht die Verantwortung der Belästigten, diese Situationen zu „lösen”. Aber ich möchte meinen Gefühlen dennoch Raum geben. Bei räumlich nahen Menschen habe ich das Bedürfnis, auf die Typen zuzugehen und sie zur Rede zu stellen. Allerdings habe ich das einmal gemacht und direkt gemerkt, wie der Täter wütend wurde. Wenn man körperlich unterlegen ist, begibt man sich durch Konfrontation in Gefahr.
Mir fallen keine Worte ein, die ich aus Distanz zurufen könnte, die das Schamgefühl und die Betroffenheit von mir auf sie zurücklenken würden. Saskia Michalski, Dozent:in für Diversity und Queerness, schlägt in einem ihrer Videos vor, sich einen Finger in die Nase zu stecken und darin zu bohren. Sie berichtet davon, belästigende Männer so schnell loszuwerden. Wirkt das, weil etwas gesellschaftlich Verachtetes auf die Belästiger zurückfällt, wenn sie vorher sexuelles Interesse bekundeten? Muss ich mich selber in diese unangenehme Situation bringen, damit andere aufhören, mich zu belästigen? Es spricht nichts dagegen, das zumindest auszuprobieren. Trotzdem bin ich weiterhin auf der Suche nach einer Reaktion, die bei mir keine Scham auslöst. Und die dem Täter zumindest etwas von dem Gefühl der Erniedrigung zurückgibt, die er ausübt.