GESELLSCHAFT
Stress im Studium, Streit mit Freund:innen, Probleme in der Familie: Studierende müssen im Alltag viel bewältigen. Bei der Nightline in Bochum können sie jetzt von ihren Sorgen erzählen.
Wenn abends in einem Raum in Bochum das Telefon klingelt, passiert alles anonym. Niemand sagt, wer er:sie ist, wie er:sie heißt oder wo er:sie sich befindet. Nichts dringt aus diesem Raum nach außen. Nichts über das Gespräch, nichts über die Menschen, die dort reden, nicht einmal etwas über den Ort. Niemand soll etwas davon mitbekommen, wer hier telefoniert.
Die Menschen, die dort an den Telefonen sitzen, engagieren sich ehrenamtlich bei der Nightline in Bochum. Seit Mitte Januar können sich dort alle melden, die über etwas reden möchten: Stress im Studium, Probleme in der Familie, Sorgen über die Zukunft. Studierende nehmen diese Gespräche an. Sie sind keine ausgebildeten Psychotherapeut:innen, haben aber in Schulungen gelernt, wie sie diese Gespräche führen.
Bei der Nightline heißt das vor allem: den Anrufer:innen zuhören, ohne sie anzugreifen oder ihnen mit Vorurteilen zu begegnen. „Wir stellen ganz neutrale Fragen: Ob wir etwas richtig verstanden haben, wie die Person etwas empfindet, seit wann eine Situation bei ihr so ist“, erzählt Ugur Ince. Der 25-Jährige engagiert sich seit November des vergangenen Jahres bei der Nightline. Er ist einer von drei Ehrenamtlichen, die die Nightline nach außen repräsentieren und deshalb keine Gespräche am Telefon führen. Alle anderen bleiben anonym. Sie wollen den Anrufer:innen wertfrei begegnen, ohne ihnen Ratschläge zu geben. Am Anfang sei das sehr schwer, aber die Nightline könne und wolle keine Lösungen liefern, sondern einen Ort zum Zuhören bieten. „Jeder Mensch und jede Situation sind unterschiedlich. Nur, weil etwas bei einer Person geklappt hat, heißt das nicht, dass es bei einer anderen auch klappt“, sagt Ince.
Die erste Nightline im Ruhrgebiet
Um das zu lernen, arbeitet die Nightline mit der psychologischen Studienberatung der Ruhr-Universität Bochum (RUB) zusammen. Die Mitarbeiter:innen dort unterstützen die Nightline, wenn Menschen mit schwerwiegenden Problemen anrufen. Sie vermitteln, dass die Studierenden zwar für die Person da sind, dass sie das Gespräch aber nicht zu nah an sich heranlassen dürfen. Laut Ince kommt das bei den Nightlines generell selten vor. Falls doch, vermitteln sie den:die Anrufer:in an andere Beratungsstellen.
Die Nightline in Bochum ist bisher die einzige im Ruhrgebiet. Die nächsten Anlaufstellen gibt es in Münster und Köln. Oft würden Menschen fragen, ob es ein solches Angebot überhaupt brauche, sagt Ince. „Ja, braucht man“, entgegnet er solchen Fragen deutlich. Bei der Nightline würden so viele Anrufe eingehen, dass die Studierenden sie nicht alle annehmen können. Zwölf bis 20 seien es pro Schicht. „Das mag sich vielleicht nicht viel anhören. Wenn man aber daran denkt, dass das Menschen sind, die wirklich etwas berichten wollen, dann kann so ein Anruf auch gerne mal eineinhalb Stunden gehen“, sagt Ince.
Neben der Möglichkeit, zu telefonieren, gibt es bei der Nightline eine Chatfunktion. Die ersetze in den meisten Fällen aber kein Telefonat. „In einem Chat können wir die Gefühle eines Menschen nicht so sehr verstehen, als wenn jemand etwas am Telefon sagt“, betont Ince. Stimmlagen zum Beispiel fehlen, Emojis würden nicht dasselbe wie ein persönliches Gespräch aussagen.
Studierende kennen die Probleme der Anrufer:innen
Als ehrenamtliche Einrichtung hat die Nightline kein eigenes Budget. Die Studierenden, die dort die Gespräche führen, bekommen kein Geld und keine Aufwandsentschädigung. Damit das möglich ist, unterstützen die Gesellschaft der Freunde der RUB, das Hochschul-Netzwerk Univercity Bochum und die Psychologische Studienberatung die Nightline – auch finanziell. Die Schichten könne die Nightline gerade so besetzen, sagt Ince. In den kommenden Wochen soll es deshalb eine weitere Schulung geben.
Ince vermutet, dass die Nightlines so gut funktionieren, weil die Menschen dort anonym anrufen können. „Es ist etwas anderes, ob ich mit Studierenden spreche oder mit der psychologischen Studienberatung oder einer anderen Stelle. Für viele hat das ein Framing: Du hast dein Leben nicht im Griff“, sagt Ince. Bei Studierenden sei das einfacher, sie könnten die Probleme nachvollziehen und sich in die Situationen der Anrufer:innen hineinversetzen.
Grundsätzlich kann bei der Nightline jede:r anrufen. In der Regel sind es aber Studierende. Laut Ince liegt das vor allem daran, dass sie einsam sind. „Studierende und junge Menschen haben vielleicht viele Kontakte. Das heißt aber nicht unbedingt, dass sie wirklich jemanden zum Reden haben.“ Es sei wichtig, die Hemmschwelle zu überwinden und über Probleme zu sprechen. Junge Menschen müssten sehr viele Lasten tragen. Oft würden sie aber Reaktionen bekommen, dass es anderen noch viel schlechter gehe und sie sich nicht beschweren sollten. Deshalb sei es ein schönes Gefühl, zu wissen, dass ihnen jemand zuhört. „Dieses Angebot ist bitter nötig.“