Studentische Monatszeitung für Duisburg, Essen und das Ruhrgebiet

GESELLSCHAFT

Ich will kein Kind – na und?

Me Time - Ein Film über kinderfreies Leben und Erwartungen an Mütter.

[Bild: Pressefoto Ayla Yildiz, Filmproduktion]

08.06.2022 08:42 - Saskia Ziemacki

Keinen Kinderwunsch haben, Sterilisation oder Regretting Motherhood – Themen, die in unserer Gesellschaft immer noch ein Tabu sind. In der gesellschaftskritischen Dokumentation „Me Time“ von Ayla Yildiz werden sie offen, ehrlich und humorvoll behandelt. Wir werden dazu angeregt, unsere eigenen Denkmuster über das Kinderkriegen zu hinterfragen. 

Tick. Tick. Tick. Es ist bald Zeit, Kinder zu kriegen, bevor die innere Uhr abläuft. Eine Aussage, die viele Frauen zu hören bekommen und Druck auf die Entscheidungen über ihren Körper und ihr Leben ausübt. Doch was ist, wenn sich Menschen freiwillig dazu entscheiden, keine Kinder zu kriegen? Ein Lebensmodell, das in der Gesellschaft immer noch stark mit Vorurteilen behaftet ist oder gar nicht erst ernst genommen wird. „Menschen sind der Meinung, dass es nur eine Phase ist, keine Kinder zu wollen. Einen Kinderwunsch zu haben dagegen, ist nicht nur eine Phase, das ist ‚natürlich‘,“ sagt Lito, einer der Protagonist:innen der Doku. 

Ein Mann, der keine Kinder möchte, wird eher akzeptiert als eine Frau.

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„Die Gebärmutter wird als gesellschaftlicher Besitz angesehen und die Frau darf sie der Gesellschaft nicht vorenthalten“, wird in der Doku gescherzt. „Wir sind nicht mehr die Gebärmaschinen, als die wir in anderen Zeiten angesehen wurden, aber die Vergangenheit klingt noch ziemlich stark nach“, sagt die Protagonistin Daniela. Doch viele hinterfragen das Bild von Heirat, Haus und Kindern erst gar nicht, heißt es in der Doku. Es entsteht Druck von innen und außen. So hören Protagonist:innen wie Judith häufig den Satz: ‚Warte ab, bis du den Richtigen findest‘. 

Kinderfrei, nicht kinderlos

Die Protagonist:innen von Me Time bezeichnen sich als kinderfrei, nicht kinderlos. „Frei wie Freiheit", so die Protagonistin Gabriele. Denn sie haben es selbst entschieden, sagt sie.  „Kinderlos setzt den Schwerpunkt auf das Defizit. Etwas, das nicht da ist. Kinderfrei ist ein positiver Wert", sagt Eva, eine weitere Protagonistin. Wie der Titel der Doku verrät, geht es dabei hauptsächlich um die eigene Entscheidungsfreiheit – man ist für niemanden verantwortlich. Das fängt bereits beim Aufstehen morgens an und geht bis zur kompletten Lebensplanung. „Ich denke immer daran, was ich alles nicht mehr machen könnte. Ich müsste mich am Wohnort und beruflich an Kindern orientieren“, so Lito.  

Keine Kinder zu wollen, klingt nach Egoismus. Doch genau das ist es auch umgekehrt: „Es gibt keinen guten Grund, Kinder zu kriegen, außer: Ich wünsche es mir“, sagt Eva. Denn von der Uroma bis heute habe sich sehr viel verändert, so Gabriele. „Frauen haben viel mehr Freiraum, um ihr Leben selbst zu gestalten", sagt sie. Sie sind nicht mehr abhängig von Mann, Ehe und Kindern. „Mein Vater musste den Arbeitsvertrag meiner Mutter noch mitunterschreiben“, erzählt Judith ungläubig. Mit diesem Wandel hat sich auch das Bedürfnis, Kinder zu kriegen, geändert. Für Judith war es wichtig, auf ihrem Lebenslauf zu signalisieren, dass sie kinderfrei ist. „Einfach, um zu zeigen, dass ich in den nächsten Jahren nicht ausfallen werde.“ 

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Die Doku wurde in ausgewählten Kinos gezeigt mit anschließendem Publikumsgespräch. [Foto: Saskia Ziemacki]
 

Sie entscheidet sich für eine Sterilisation. Die wird von den meisten Ärzt:innen jedoch nur durchgeführt, wenn man über 35 Jahre alt und die Familienplanung abgeschlossen ist. „Die Beratung bei der Ärztin ging in die Richtung, dass man das Thema Kinder noch offen hält“, so Judith. „Ich habe möglichst bildhaft beschrieben, dass sich mir der Magen bei dem Gedanken verdreht. Dass ich nicht der Typ dafür bin und ich das karrieremäßig nicht in mein Leben einbinden möchte.“ Selbst bei einem online Magazin von Gynäkolog:innen steht bei der Beratung zur Sterilisation: „Nicht wenige Frauen ändern ihre Einstellung zum Kinderwunsch noch zu einem späteren Zeitpunkt. So bereuen etwa sechs Prozent der Über-30-Jährigen und 20 Prozent der Unter-30-Jährigen später den Eingriff.“ Auch die Kosten werden nicht von der Krankenkasse übernommen. Für den 600 bis 1000 Euro teuren Eingriff muss man selbst aufkommen. Auf der Seite selbstbestimmt-steril.de sind Ärtz:innen aufgelistet, die eine Sterilisation durchführen. 

Regretting Motherhood

„,Man kann nur glücklich werden mit…‘-Sätze sind immer Bullshit“, sagt Eva, eine der Protagonist:innen der Doku. Sie hat keine Kinder. Pia hingegen hat einen zweijährigen Sohn, kann rückblickend aber nicht sagen, ob sie einen Kinderwunsch hatte. „Ich habe meinen damaligen Freund geheiratet und es war ein klassischer Weg, bei dem man einfach dachte, es gehört jetzt dazu.“ Doch schon im Kreißsaal lastet das Gefühl des Bereuens auf ihr. „Man bekommt das Baby in die Arme gedrückt mit einem ‚toi, toi, toi‘ und denkt sich: Wo ist die Anleitung?“ Nach der Geburt ist sie vollkommen überfordert. „Der Gedanke, dass mein altes Leben unwiderruflich weg ist, war im Wochenbett sehr extrem.“

Frauen unterliegen, ob mit oder ohne Kindern, allen Wertungen der Gesellschaft, so Eva. „Von außen wird immer suggeriert, wie toll es mit einem Kind ist und dass man so viel zurückbekommt. Ich hatte das Gefühl nicht“, gesteht Pia. „Nichts macht durchgehend nur Spaß und nichts ist nur schön. Man will ja in der Regel auch nicht immer 24 Stunden mit der gleichen Person zusammen sein.“ Dies jedoch über das eigene Kind zu sagen, sei ein totales Tabu, so Pia. „Ich glaube, dass in der Patriachalen Welt, in der wir leben, nicht gerne gehört wird, wenn Frauen den Mund aufmachen und auch mal sagen, wenn ihnen was nicht passt.“ Pia möchte das Bild verändern und offen über ihre Reue und ihre Gefühle sprechen können, ohne verurteilt zu werden. Die Doku zeigt, wie sehr sie ihren Sohn liebt und wie gut sie mit ihm umgeht. Aber sie möchte bewusst machen, dass Kinder nicht der Schlüssel zum Glück oder das ultimative Lebensziel sind.

Auf Vimeo könnt ihr den Film kaufen und noch viel mehr Perspektiven auf ein kinderfreies Leben erhalten.

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