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GESELLSCHAFT

IAQ-Report dokumentiert institutionellen Rassismus

Auch die Polizei ist geprägt von institutionellem Rassismus. [Foto: Ayssa Maiß]

24.03.2022 12:30 - Ayssa Maiß

Viele Menschen westlicher Sozialisation haben Vorurteile und rassistische Wissensbestände internalisiert. Im IAQ-Report zu institutionellem Rassismus in Behörden zeigen drei Forscherinnen der Universität Duisburg-Essen (UDE) wie tief dieses „Wissen“ in der Gesellschaft verankert ist.

Dr. Katrin Menke, Alexandra Graevskaia und Andrea Rumpel führten drei separate Studien in den Bereichen Arbeitsverwaltung, Polizei und Gesundheitsversorgung am Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) durch. „Ursprünglich war Rassismus nicht das direkte Forschungsthema, wir haben jedoch bei der Auswertung von unserem Material gemerkt, dass es Querverbindungen gibt“, erklärt Graevskaia. So wurden die Ergebnisse der drei Kurzstudien für einen Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (NaDiRa) erstellt und im IAQ- Report „Institutioneller Rassismus in Behörden – Rassistische Wissensbestände in Polizei, Gesundheitsversorgung und Arbeitsverwaltung“ zusammengefasst.

Darin fokussieren sie sich auf die Reproduktion und Produktion von rassistischem Wissen. Diese Wissensbestände, oder Stereotype, bestehen seit der Kolonialzeit und werden in westlichen Kulturen weitergegeben und angepasst. Fließen diese Wissensbestände (implizit) in verschiedene Institutionen, wie hier die Behörden, ein, dann führt dies zu institutionellem Rassismus. „Damit das funktioniert, müssen die einzelnen Mitarbeitenden nicht unbedingt rassistische Denk- und Handlungsweisen befürworten, weil es bestimmte Regeln und Routinen gibt, die sich eingeschlichen haben.“ Die Wechselwirkung von Rassismus in den Institutionen wirke dann als struktureller Rassismus. Dabei handelt es sich um das Ergebnis etablierter politischer und ökonomischer Strukturen.

Rassistisches Wissen als Handlungsgrundlage gegenüber „Anderen“

In ihrer Kurzstudie „Institutioneller Rassismus in der Polizei. Rassistisches ‚Wissen‘ und seine Nutzung“ stellt Graevskaia vor allem fest, dass Polizist:innen versuchen, die eigene „Handlungsunsicherheit mit dem Rückgriff auf homogenisierendes und kulturalisierendes ‚Wissen‘ über ‚Andere‘ zu reduzieren.“ Für den Umgang mit den vermeintlich „Anderen“ wird nicht nur auf alte Wissensbestände zurückgegriffen, es wird neues rassistisches „Wissen“ produziert. Zum Beispiel werde in der Polizei häufig Erfahrung mit Kompetenz gleichgesetzt. So beschreibt ein Beamter, dass Streifenwagen dazu von erfahrenen und jungen Polizist:innen besetzt werden und erklärt beispielhaft: „Pass auf, da wohnen sozial Schwache, da wohnen viele Russen, da wohnen viele Russlanddeutsche, die muss man auch betrachten, die sind auch anders[...].“ Klassistische und rassistische

Äußerungen dienen somit als Wissen über die konstruierten Gruppen.

Als weitere Quelle rassistischen „Wissens“ benennt Graevskaia polizeiliche Kriminalitätsstatistiken. „Sie bilden die Ergebnisse anlassloser Kontrollen an sogenannten ‚gefährlichen und kriminalitätsbelasteten Orten‘ ab. Wenn dann bei Racial Profiling bestimmte Personen überdurchschnittlich oft kontrolliert werden, tauchen sie überdurchschnittlich oft in dieser Statistik auf.“ Dies sei besonders gefährlich, da es die „Wissenesbestände” objektifiziert und andere Behörden sich auf diese Statistiken berufen.

Dr. Katrin Menke untersuchte in ihrer Kurzstudie geschlechtsspezifischen Rassismus am Arbeitsmarkt und stellt fest, dass im Jobcenter auf Stereotype über muslimische Frauen in einem „rückständig-orientalischen Geschlechterregime“ zurückgegriffen wird. Menke bemerkt, dass im Jobcenter Männer als Familienernährer betrachtet und Frauen bloß in Zuverdienerinnen-Jobs vermittelt werden. 

In der Kurzstudie zur Gesundheitsversorgung fokussierte Andrea Rumpel sich auf die Versorgung substanzkonsumierender Geflüchteter. Sie stellt zum Beispiel fest, dass die Genehmigung gesundheitlicher Behandlung der Geflüchteten oft vom Aufenthaltsstatus anstatt vom Gesundheitszustand abhängig gemacht wird. Eine Mitarbeiterin des Sozialamtes erklärt: „Wenn ich weiß, der hat einen Antrag auf freiwillige Ausreise gestellt und reist morgen oder nächste Woche aus, werde ich dem keine Psychotherapie mehr bewilligen.“

Rassismus ist die Norm

„Manche Behörden, insbesondere auch die Polizei, wehren sich gegen den Vorwurf, dass es institutionellen Rassismus gäbe und sagen es wären ein paar schwarze Schafe. Es braucht dieses Bewusstsein, dass Rassismus nicht nur die individuelle Einstellung widerspiegelt, sondern sich auch in Strukturen oder Regeln einschleicht“, betont Graevskaia. In machen Behörden gibt es bereits Trainings zu interkultureller Kompetenz, hinter diesem Label könne sich aber vieles verstecken. „Das kann dann so aussehen wie ‚wir lernen jetzt etwas über Muslime‘.” Diese veraltete Herangehensweise führe eher dazu, dass man weiterhin Klassifikationen anwendet. Sinnvoller wären laut Graevskaia rassismuskritische Schulungen. Die Forscherinnen nennen auch die Möglichkeit von stärkerer Supervision und Reflexion behördlicher Entscheidung. Vor allem fordern sie „die Anerkennung von institutionellem Rassismus als Problem, um Lösungsmöglichkeiten zu etablieren.“

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