GESELLSCHAFT
Jeden Tag Auto fahren, zwei Wochen zu viert ein Zimmer teilen, sich von Fastfood ernähren, Dauerstress und Adrenalin. Touren ist eines der anstrengendsten Unterfangen, das man sich vorstellen kann, aber auch eines der schönsten. In dieser Kolumne berichtet unsere Redakteurin darüber, wie es ihr auf ihrer ersten Tour erging.
Im Januar bin ich mit meiner Band Sloe Noon auf unsere erste Tour gefahren. Wir waren dabei zwei Wochen in Großbritannien unterwegs als Vorband für Francis of Delirium. Das bedeutet, zehn Auftritte in zwölf Tagen und dabei einmal von Brighton über Umwege nach Glasgow und wieder zurück. Wir haben insgesamt etwa 3200 Kilometer zurückgelegt – und dabei haben nur zwei von vier Personen einen Führerschein. Der Satz „Mach du erstmal deinen Führerschein!” wurde zum Dauerbrenner für mich und den Bassisten Fabi, der anfangs als Witz gemeint war und im Verlauf immer passiv-aggressiver über die Lippen kam.
Eigentlich ist Touren wie eine lange Klassenfahrt, nur dass man selbst sowohl Lehrer:in als auch Schüler:in ist und die Adrenalinkicks nicht durch das nächtliche Rausschleichen kommen, sondern durch einen Auftritt jeden Abend. Der Ablauf ist etwa so: Man muss um zehn aus dem Hotel auschecken, besorgt sich irgendwo Frühstück (entweder findet man ein nettes Café oder nimmt den Raststätten Drive-In), fährt ein paar Stunden Auto und checkt ins nächste Hotel ein, kann sich in den meisten Fällen etwa eine halbe Stunde ausruhen und dann geht es direkt in die Venue zum Ausladen, Aufbauen und Soundchecken.
Nach dem Soundcheck hat man als Vorband noch etwa ein bis zwei Stunden Zeit, sich vor dem Auftritt etwas zu essen zu besorgen und sich mental vorzubereiten. Hier ist die Gefahr, hangry zu werden und das Potential für Zickereien am größten. Auch von dem Gedanken, einmal etwas Gesundes zu finden, muss man sich schnell verabschieden. Für die Suche ist keine Zeit da. Was uns auf dieser Tour als Lieblingsessen immer begleitet hat, war Pad Thai – definitiv die bessere Alternative zu jeden Abend Burger und Pommes. Vitamintabletten und Power-Riegel sind in Zukunft ein absolutes Must-have.
Zusätzlich sollten immer Ibus und Paracetamol-Tabletten dabei sein, denn wenn du auf Tour krank wirst, hast du einfach die Arschkarte. Man muss natürlich Rücksicht nehmen und kann die andere Person unterstützen, aber im Großen und Ganzen kämpft bei Krankheit auf Tour jede:r für sich selbst. Die anderen dürfen sich nicht anstecken und es gibt einfach zu viel zu tun. So musste unser Drummer nach dem Gig in London zwei Stunden mit Fieber und Kuscheldecke im Auto warten, bis wir alles einpacken und ihn ins Hotel verfrachten konnten, um dann mit einem Uber wieder zurückzufahren.
Verschiebung im Raum-Zeit-Kontinuum
Ich habe festgestellt, dass zwei Wochen auf Tour mit einer Person, etwa zwei Jahren Kennenlernen im Alltag entsprechen. Man hat sich vorher regelmäßig gesehen, geprobt und abgehangen, aber plötzlich steht man in einem Einkaufszentrum in Newcastle und sucht zusammen Unterwäsche aus. Man hat während der langen Autofahrten viel Zeit zum Reden und lernt sich in den stressigsten Situationen von den intimsten Seiten kennen. Ein großer Nachteil, mit drei Männern auf Tour zu sein, ist definitiv das Schnarchen. Fakt ist: Auf Tour sind nicht deine Bandkollegen deine besten Freunde, sondern Noise Cancelling und Ohropax.
Anders als durch Kim Gordon’s Essay „Boys Are Smelly: Sonic Youth Tour Diary, ‘87” erwartet, war es geruchstechnisch gar nicht so schlimm. Ein aufgeräumtes Auto sieht aber definitiv anders aus. Ich hatte insgesamt das Glück, keine schlechten Erfahrungen auf der Tour machen zu müssen, was mein Geschlecht angeht. Alle männlich gelesenen Sound-Techs, Show-Promoter und Konzertgänger waren richtig nett. Gerade mit meinen Bandkollegen habe ich es sehr gut. Die haben so sehr Angst, zu mansplainen, dass ich sogar nach Hilfe fragen muss, wenn ich sie brauche. Es ist verrückt.
Nach dieser Erfahrung frage ich mich, wie Bands den „Sex, Drugs & Rock ‘n’ Roll” Lifestyle auf Tour ausgelebt haben. Für nichts davon ist Zeit oder Geld da, außer dem „Rock” für eine Stunde am Tag. Eine Tour ist viel strukturierter als ein normaler Uni-Alltag und es braucht wirklich viel Organisationstalent, Disziplin und Ausdauer, um sie zu überstehen. Nach unserer Rückkehr habe ich etwa eine Woche gebraucht, um mich wieder in den Alltag einzufinden und den Schlaf aufzuholen, aber es gibt so unzählbar viele schöne Momente, die all das wert sind: Die Auftritte, nachts um vier auf dem Hoteldach in Glasgow abzuhängen oder eine Zuschauerin, die sich deine Unterschrift tätowieren lassen will. Man möchte danach einfach wieder losfahren. Zum Glück geht es Mitte März schon auf die nächste Tour. Diesmal hoffentlich mit mehr Vitaminen und weniger Fieber.