GESELLSCHAFT
Josef Anton Gera wird verprügelt und stirbt. Den Tätern wird ein rechtsradikales und homofeindliches Motiv vorgeworfen – der Stadt Bochum ein Vertuschen der rechtsextremen Tatmotive. 25 Jahre nach Josef Anton Geras Tod fordern Antifaschist:innen weiterhin die Anerkennung der rechten Gewalttat.
Bochum, 15. Oktober 2022: Gegenüber des Hauptbahnhofs steht ein weißer Caddy am Wegrand. Die geöffnete Seitentür des Wagens gibt den Blick auf eine rot-schwarze Flagge frei, auf der groß „Antifaschistische Aktion“ geschrieben steht. Auf dem Dach des Caddys thront eine Musikbox, aus der eine Stimme die Umstehenden thematisch in die Veranstaltung einführt: „Willkommen zur Demonstration in Gedenken an Josef Anton Gera“. Für alle Unwissenden wird ausgeführt: „Josef Gera wurde vor 25 Jahren aus rechten und homofeindlichen Motiven von zwei Neonazis in Bochum erschlagen.” Es folgen Redebeiträge zu rechten Morden und Queerfeindlichkeit. Dann setzt sich der Caddy in Bewegung und führt die Menschenmasse über das Bermudadreieck bis hin zum Westpark – dem Ort, an dem Gera erschlagen worden sein soll.
Gewaltsam erschlagen
Laut Berichten der WAZ und der Ruhr Nachrichten aus den Jahren 1997 und 1998 trafen sich am Abend des 14. Oktober 1997 fünf Männer auf der Industriebrache des ehemaligen Krupp-Geländes (heutiger Westpark) in Bochum. In einer Laube, in der die zwei Wohnungslosen Patrick K. (damals 26) und Uwe K. (damals 35) lebten, hätten die beiden, der Frührentner Josef Anton Gera (damals 59) und zwei weitere Männer am Tatabend gemeinsam Alkohol getrunken.
Während sich die zwei weiteren Männer aus Volltrunkenheit an keine Geschehnisse des Tatabends hätten erinnern können, sollen Patrick K., Uwe K. und Josef Anton Gera weiter zusammengesessen haben. Die beiden Wohnungslosen haben gewusst, dass Gera homosexuell war und wollten ihm „eine ordentliche Abreibung verpassen“, so die Berichte der WAZ. Patrick K. habe Josef Gera seinen nackten Oberkörper präsentiert, „um ihn zum Anfassen zu reizen.“ Als dieser darauf eingegangen sei, „hätten [Patrick K. und Uwe K.] ihren Anlass zum ‚äußerst brutalen Zuschlagen‘ gehabt“. Mit „massiven Fausthieben, Tritten und heftigen Schlägen“ mit einer durch ein Stuhlbein verlängerten Eisenstange hätten sie auf den Frührentner eingedroschen. Zwei Tage später starb Gera an den Folgen der Verletzungen im Krankenhaus.
Wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge wurde Patrick K. zu sechs Jahren Haft verurteilt, die er bei erfolgreich absolvierter Alkoholtherapie auf vier Jahre hatte reduzieren können. Uwe K. wurde zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.
Rechtsradikales und homofeindliches Tatmotiv?
Das Tatmotiv der beiden Wohnungslosen bleibt umstritten. Die WAZ berichtete, dass Patrick K. selber darlegte, Gera aufgrund seiner „sexuellen Annäherungsversuche“ verprügelt zu haben. Die Kriminalpolizei habe das angegebene Tatmotiv als vorgeschoben eingestuft. Dieter Justinsky, damaliger Staatsanwalt, habe vermutet, es sei „Mord aus niederen Beweggründen“ gewesen, bei dem „Alkohol und eine Menge Frustration eine tragende Rolle spielten".
Ob die Tat rechtsradikal motiviert war, bleibt ebenfalls strittig. Auf einen rechten Hintergrund der Täter weisen Hakenkreuze und SS-Runen hin, die sich an den Wänden der Laube der beiden Männer befunden haben sollen. Dazu soll Patrick K. der Mordkommission gegenüber zugegeben haben, am Abend des 14. Oktober 1997 des Öfteren „Sieg Heil“ gerufen zu haben. Außerdem hätten die Mutter und die Schwester von Uwe K. ausgesagt, die beiden Männer hätten ihnen am Folgetag vom Vorabend berichtet und ihre Erzählungen mit „Sieg Heil“-Rufen abgeschlossen. Chef der Mordkommission Walter Pindur habe jedoch geäußert, dass keine Verbindung zu rechtsradikalen Gruppen festzustellen war und die Täter nicht als organisierte Rechte erkennbar gewesen waren. Die Tat wurde folglich nicht als rechtsextrem registriert.
Forderungen der Antifaschist:innen
Antifaschistische Gruppen aus Bochum kritisieren, dass die rechte Orientierung der beiden Täter im Gerichtsprozess zu wenig thematisiert wurde. Und, dass die Stadt Bochum trotz des nach Antifaschist:innen „offensichtlich extrem rechten und homosexuellenfeindlichen Tatmotivs“ für zu wenig offizielle Aufarbeitung des Falles sorgte. Bis jetzt seien es überwiegend antifaschistische Akteur:innen gewesen, die den Fall als „rechte Tat“ aufarbeiteten und für ein Gedenken Josef Anton Geras sorgten.
Jährlich veranstalten sie Demos. Vor elf Jahren brachten sie eine Gedenktafel am Westpark in Bochum an. In diesem Jahr wurde ein Reverse Graffito erschaffen, das Geras Gesicht an der Wand gegenüber der Jahrhunderthalle in Bochum zeigt. Der Initiator Heiko Koch, so berichtet die Zeitung Lokalkompass, kritisiert den Umgang der Stadt mit dem Fall Geras bei der Einweihung des Graffitos. Er sei der Meinung, die Stadt habe die politischen Motive der Täter nicht thematisiert, „um dem Image der Stadt nicht zu schaden“. Er wünsche sich „eine städtische Initiative, die sich bemüht, dass der Prozess zu Josef Gera und die Motivlage der Mörder neu bewertet und Josef Gera offiziell als Opfer rechter Gewalt anerkannt wird".
In diesem Jahr richteten sich lokale Antifaschist:innen mit einem Schreiben an den Bochumer Stadtrat, in dem sie ihre Forderungen bezüglich des Umgangs mit der Tat schriftlich niederlegten. Sie fordern, Josef Anton Gera als „Opfer rechter Gewalt in der jüngeren Geschichte der Stadt“ anzuerkennen und dass die Stadt auf ihrer Homepage über Geras Todesfall informiert. Außerdem soll die im Westpark angebrachte Gedenktafel offiziell anerkannt, ein Platz in der Innenstadt nach Gera benannt und ein Mahnmal gegen rechte Gewalt, soziale Ausgrenzung und Homophobie installiert werden.
Am 14. Oktober dieses Jahres, 25 Jahre nach dem tödlichen Angriff, wurde die vierte der Forderungen erfüllt. Der Platz an der Alleestraße gegenüber des „Colosseums“ trug bislang keinen Namen und wurde offiziell zum „Josef-Anton-Gera-Platz“. Zur Straße gerichtet steht ein Schild, das über Josef „als Opfer einer rechten, homofeindlichen Gewalttat“ aufklärt. In der Pressemeldung auf der Website der Stadt Bochum steht dazu, dass die Benennung des Platzes an Gera als homosexuelles Opfer erinnern soll. Ein rechtes Tatmotiv wird nicht benannt. Wie es zu der Diskrepanz zwischen der Aufschrift des Schildes und der Beschreibung in der Pressemeldung kommt und wie die Stadt zu den weiteren Forderungen aus dem Schreiben steht, will Bezirksbürgermeisterin Gabriele Spork unserer Redakteurin in einem Gespräch erläutern.