Studentische Monatszeitung für Duisburg, Essen und das Ruhrgebiet

GESELLSCHAFT

Ausstiegsberatung für Rechtsextremismus

 

Der Ausstieg aus dem Rechtsextremismus ist
ein langer Prozess. [Symbolfoto: pixabay]
21.08.2021 14:17 - Selome Abdulaziz

Aussteiger:innen aus dem Rechtsextremismus sind auf Social Media immer präsenter. Viele von Ihnen fanden den Weg aus der Szene durch Ausstiegsberatungen. ak[due]ll sprach mit einer Ausstiegsberaterin* von Neue Wege in der Ausstiegsberatung für rechtsextreme Jugendliche und Erwachsene (NinA NRW) über Herausforderungen ihrer Arbeit und wie Prävention für Rechtsextremismus in Zukunft besser funktionieren kann.

ak[due]ll: Bevor wir jetzt einfach mit dem Begriff um uns werfen: Wie definierst du denn Ausstieg, was muss dafür passieren?

Ausstiegsberaterin: Ein Ausstieg ist ein langer Prozess und dauert oft mehrere Jahre. Von den ersten Zweifeln bis zur völligen Distanzierung führt ein weiter Weg. Der führt erstmal darüber, Kontakte in der Szene abzubrechen. Dazu gehört auch, keine Ideologie mehr zu verbreiten, zum Beispiel auf Social Media, und auch nicht mehr auf rechte Demos oder Konzerte zu gehen. Auch eine Auseinandersetzung mit der Einstellung, die man hatte, muss stattfinden.

ak[due]ll: Wie sieht der Ausstiegsprozess genau aus?

Ausstiegsberaterin: Es gibt zunächst ein Erstgespräch, in dem wir schauen: Was will der oder diejenige genau und passt das mit dem zusammen, was wir anbieten können? Dann müssen wir gucken: Was sind wichtige erste Schritte? Dabei spielen auch die Sicherheit und Schutz vor der Szene immer eine Rolle. Dann muss man auch nach grundsätzlichen Dingen schauen. Ist die Person überhaupt bereit für die Beratung? Gibt es Probleme wie Sucht oder Wohnungslosigkeit, die erstmal gelöst werden müssen? Dabei unterstützen wir und vermitteln gegebenenfalls an Stellen wie Drogenberatung oder Psychotherapie weiter. Die Ideologiearbeit wird aber nicht außer Acht gelassen. Was genau hat die Person für eine Einstellung? In der rechtsextremen Szene gibt es ganz unterschiedliche Weltbilder, die allerdings alle auf der Unterstellung von Ungleichwertigkeit beruhen. Wie sieht es mit Gewalt aus? Wir gucken auch: Wo kommt diese Einstellung her?

ak[due]ll: Die Aussteiger:innen erzählen vermutlich sehr persönliche Dinge und mitunter auch von Straftaten und Hass. Belasten dich die Gespräche manchmal selbst?

Ausstiegsberaterin: Das habe ich im Laufe der Jahre einigermaßen gut zu trennen gelernt. Das war ein schmerzhafter Prozess, weil mich diese Gewalt und der Hass auch nach der Arbeit noch begleitet haben. Mittlerweile geht das aber wirklich gut, wir sind ein größeres Team und haben wöchentliche Teamsitzungen, bei denen wir Fälle besprechen können. Außerdem gibt es eine Supervisorin, die immer wieder darauf aufmerksam macht, dass wir den Prozess zwar begleiten, aber dass die Ausstiegswilligen ihn gehen müssen. Das heißt, wenn etwas nicht gelingt, ist es nicht meine Schuld.

ak[due]ll: Wie kommen die Aussteiger:innen zu euch?

Ausstiegsberaterin: Das passiert auf unterschiedlichen Wegen. Wir haben relativ wenig Selbstmelder:innen, sondern es geht viel über Multiplikator:innen wie Jugendgerichtshilfen, Bewährungshilfen, Mitarbeitende in JVAs, oder aus anderen Hilfesystemen, oder auch aus der Schule, die dann an uns weitervermitteln.

ak[due]ll: Würdest du sagen, dass der Ausstieg immer mit einem Umbruch zusammenhängt, oder gibt es auch andere Gründe?

Ausstiegsberaterin: Teilweise ist es so, dass die Leute beginnen zu denken und merken, ich kann das alles nicht mehr mit mir vereinbaren. Das kann durch eine neue Partnerin oder einen neuen Partner kommen, die oder der mit den Einstellungen nicht umgehen kann und das anspricht. Eine Krise wie die Haft ist oft ein Auslöser, da man dort viel Zeit zum Nachdenken über das eigene Leben hat. Da fallen Diskrepanzen auf, wie dass ich meinen türkischen Nachbarn total nett finde, der aber eigentlich zu meinem Feindbild gehört.

 ak[due]ll: Wie gut funktioniert die Ablösung von der Ideologie?

Ausstiegsberaterin: Man kann den Leuten nicht in den Kopf schauen, also genau kann man das nicht sagen. Ich glaube nicht, dass die Leute nach der Arbeit mit uns nur erwünschte Antworten geben, aber streckenweise ist da schon eine große Ablösung. Jetzt ist die Frage: Müssen unsere Aussteiger:innen hinterher bessere Demokrat:innen sein als die Mitte der Gesellschaft, in der teilweise Rassismus und Menschenverachtung stattfindet ohne Ende? Es gibt aber auch ganz tolle Beispiele von Aussteiger:innen, die sehr aufmerksam sind für Rassismen in der Sprache, was einen in der Arbeit natürlich bestärkt.

ak[due]ll: Macht ihr auch Vorträge mit Aussteiger:innen an Schulen?

Ausstiegsberaterin: Früher haben wir das gemacht, aber mittlerweile nicht mehr. Wir sind der Meinung, dass das nicht zielführend ist. Die Idee dahinter ist ja, abzuschrecken, das ist aber nicht belegt. Da gibt es eine Untersuchung zu von NZkrim. Ganz im Gegenteil kann dadurch auch Faszination erreicht werden. Früher dachte man auch, wenn die Kinder das Buch Christiane F. lesen, nehmen sie keine Drogen. Ich weiß gar nicht, wie viele das erst dazu erst animiert hat. Mir fehlt da oft auch der Fokus auf der Betroffenenperspektive. Wie haben sich die Personen gefühlt, die Opfer der rechten Gewalt wurden?

ak[due]ll: Siehst du andere Wege, wie Prävention besser funktionieren könnte?

Ausstiegsberaterin: Die eine Lösung habe ich jetzt nicht parat, aber ich hätte da ein paar Ideen. Demokratieförderung sollte schon ab dem Kindergarten beginnen und in der Schule auf keinen Fall aufhören. Die Auseinandersetzung mit Themen wie Diskriminierung, Antisemitismus oder Homofeindlichkeit sollte nicht nur in einer einmalige Projektwoche behandelt werden, sondern ständig im Bildungssystem eine Rolle spielen.

ak[due]ll: Findest du, jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient?

Ausstiegsberaterin: [Kurze Pause] Ja.

*Sie möchte anonym bleiben und wird deshalb hier nur Ausstiegsberaterin genannt.
 

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