GESELLSCHAFT
Sprache schafft Wirklichkeit, heißt es jüngst in der Debatte um geschlechtergerechte Sprache. Bedenkt man, dass wir noch heute Sprache der Nationalsozialisten verwenden, wird man stutzig. Wir haben 10 Vokabeln zusammengetragen, die vor Gebrauch überdacht werden sollten.
1. Kulturschaffende
Unbedacht bezeichnen wir Künstler:innen und Intellektuelle im Alltagsgebrauch als Kulturschaffende. Das Berufsfeld war im Nationalsozialismus (NS) zwar dasselbe, der Begriff geht aber auf die Gründung der Reichskulturkammer und die Gleichschaltung der deutschen Kultur zurück. Alle Kunstschaffenden waren verpflichtet, ihr anzugehören. Wer keinen „Ariernachweis“ vorweisen konnte oder „entartete Kunst“ produzierte, wurde von ihr und somit auch von dem Beruf ausgeschlossen.
2. Sonderbehandlung
Während der Begriff heute als Synonym der Redewendung „eine Extrawurst einfordern“ verwendet wird, bedeutete er im NS-Amtsdeutsch Mord an Sinti:ze und Rom:nja, Regimegegner:innen, Behinderten, Juden und Kriegsgefangenen.
3. betreuen
Das Verb „betreuen“ war zwar keine NS-Neubildung, erfuhr aber eine enorme Frequenzsteigerung in der NS-Zeit. Einerseits meinte es die „weltanschauliche Schulung” der NSDAP. Andererseits stand es in der internen Schutzstaffel-Sondersprache für die Vorbereitung und Durchführung von Mord an Gefangenen.
4. Nacht-und-Nebel-Aktion
Diese heute für heimlich geplante und überraschend durchgeführte Aktionen genutzte Formulierung wurde durch Hitlers „Nacht-und-Nebel-Erlass“ geprägt. Ab dem 07. Dezember 1941 war das spurlose Verschwinden von Staatsfeinden aus besetzten Gebieten durch Entführung ein staatliches Terrorinstrument.
5. der (Kollektivsingular)
Nutzt man einen Sammelbegriff im Singular, obwohl es eine grammatische Mehrzahl dafür gibt, spricht man vom Kollektivsingular. Heutzutage wird dieser noch immer bei dem Ausdruck von Vorurteilen gegenüber Menschengruppen verwendet. So hört man beispielsweise immer wieder, dass der Deutsche besonders pünktlich sei. In der NS-Zeit wurden Feinde des NS-Regimes im kollektiven Singular angesprochen, um den Menschen ihre Individualität zu nehmen.
6. Pimpf
Heutzutage wird das Wort Pimpf im alltäglichen Gebrauch scherzhaft bis abwertend für einen noch nicht erwachsenen oder nicht ernst zu nehmenden Jungen verwendet. In der Zeit des NS wurden so die männlichen Mitglieder des Jungvolks im Alter von zehn bis vierzehn Jahren genannt.
Literatur(tipp):
Matthias Heine: „Verbrannte Wörter: Wo wir noch reden wie die Nazis - und wo nicht”, Dudenverlag, 224 Seiten, 18 Euro.
In seinem Buch klärt der Journalist Matthias Heine, welche unserer heutigen Vokabeln noch aus der NS-Zeit stammen und was sie damals bedeuteten.
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung hat auf ihrer Internetseite Wörter aus dem NS und deren Bedeutung zusammengetragen.
7. Parteigenosse
Die heute noch verwendete Anrede eines Parteimitgliedes gab es schon vor der NS-Zeit. Als nur noch die NSDAP in Deutschland zugelassen war, kennzeichnete das Wort erstmals bestehende Machtverhältnisse. Wer kein Parteigenosse war, gehörte nicht zu den Mächtigen, sondern war Beherrschte:r.
8. Untermensch
Ähnlich wie Pimpf wird dieses Wort mittlerweile leichtsinnig als Beleidigung genutzt. Die Begrifflichkeit ist auf die Idee der biologischen Ungleichheit der Menschenrassen zurückzuführen und wurde in der NS-Propaganda häufig verwendet. Menschen, denen aufgrund ihrer Nationalität, Hautfarbe, sexuellen Orientierung oder Religion in der NS-Zeit ihre Rechte abgesprochen wurden, wurden durch die Betitelung als Untermenschen entmenschlicht.
9. entrümpeln
Heute bezeichnet das Verb die Entsorgung unbrauchbarer Gegenstände. Nach dem erlassenen Luftschutzgesetz der Nationalsozialisten im Jahr 1935 hingegen meinte es die Eliminierung von brandbeschleunigenden Gegenständen von deutschen Dachböden. Als Kriegsvorbereitung wurde „Entrümpelung“ später durch den Staat angeordnet, um das Risiko und Ausmaß von brennenden Dachböden durch Bombenangriffe zu mindern.
10. D wie Dora
Obwohl das Alphabet eine semitische Erfindung ist, wurde die amtliche Buchstabiertafel während der Nazi-Herrschaft von biblischen Namen befreit, die als jüdisch galten. So nennen wir für D noch immer den Namen Dora anstatt David.