CAMPUS
In Zeiten der Corona-Pandemie ist es für viele ausländische Studierende in Deutschland schwierig, weit weg von der Heimat, der Familie und den Freunden zu sein. Diese sechs Studierenden verraten, warum sie ihre Heimat vermissen, aber auch, warum das Studentenwohnheim „die BRÜCKE“ ein kleiner Familienersatz ist.
Sanaz, Alex, Martina, Adriana, Tianyi und Harisoa leben im Studentenwohnheim. Trotz Online-Semester haben sie sich entschieden, in Deutschland zu bleiben. Sie haben sich hier bereits ein Leben aufgebaut oder versuchen, die Erfahrung so gut es geht zu genießen. Doch auch die Angst davor, eine Präsenzprüfung zu verpassen, hält viele hier – die Angst davor, dass die Grenzen wieder schließen und sie es nicht rechtzeitig nach Deutschland schaffen würden. Kaum Flüge, Quarantäne und Testpflicht erschweren die Situation. Ein Trost für die Meisten bleiben nicht nur der ständige Kontakt mit der Heimat durch Telefon und Soziale Netzwerke, sondern auch die Gemeinschaft in der Brücke.
Sanaz ist im Iran geboren und 32 Jahre alt. Sie ist seit fast fünf Jahren in Deutschland und studiert Bauingenieurwesen im Master. Zwei Mal war sie seitdem in der Heimat und will erst wieder fahren, wenn sie mit dem Studium fertig ist. Doch das bedeutet nicht, dass sie keine Sehnsucht hätte: „Wenn man sich alleine fühlt, vermisst man alles, was man verloren hat. Teilweise kommt man an den Punkt zu sagen, ich gehe zurück in die Heimat. Aber dort kann man auch nicht einfach leben, da man jetzt eine andere Welt gesehen hat. Man bleibt zwischen zwei Welten, man gehört nicht hierhin, aber auch nicht dorthin.“ Gerade in diesen Zeiten ist es eine besondere Herausforderung: „Wenn ich Corona kriege und sterbe, wer will mich in den Iran schicken, wer will mich hier beerdigen? Wenn man niemanden hat.“ Dafür ist die Brücke für sie wie Familie geworden. „Man versucht hier jeden ausländischen Studierenden zu akzeptieren wie einen Bruder oder eine Schwester.“ Wenn sich jemand in einer schlechten Situation befindet, hilft man sich.
Alex ist in Nigeria aufgewachsen und 27 Jahre alt. Er ist vor sieben Jahren nach Deutschland gekommen, hat hier sein Abitur nachgeholt und angefangen, Politikwissenschaften zu studieren. Seine Brüder leben ebenfalls in Deutschland, doch seine Eltern in Nigeria, wo er zuletzt 2018 war. „Ich vermisse meine Familie immer, vor allem meine Mutter. Aber ich komme damit klar, weil wir sehr regelmäßig telefonieren und skypen. Dadurch hat man genug Geduld bis zum nächsten realen Wiedersehen.“ Wenn er die Möglichkeit nicht hätte, mit seiner Familie durch soziale Netzwerke Kontakt zu haben, würde er versuchen, alle sechs Monate hinzufliegen. „Ich hab mit meiner Mutter 30 Stunden über Weihnachten telefoniert, einfach weil die Zeiten so hart sind, man ist dann der Familie nah.“ Doch die Gemeinschaft in der Brücke gibt ihm Halt. „Die Welt lebt hier unter einem Dach. Es gibt verschiedene Nationalitäten und man fühlt sich zuhause, vor allem, weil man viel mit den anderen machen kann und viel kennenlernt. Hier lässt man sich nicht von Corona runterziehen.“
Martina kommt aus Italien und ist für einen 10-monatigen Erasmus-Aufenthalt in Deutschland. Wegen Corona hatte sie die Option, ihr verpflichtendes Auslandsjahr auf drei Monate zu kürzen, doch sie hat abgelehnt. Da sie im letzten Masterjahr des Studienganges Fremdsprachen für die internationale Kommunikation ist, war es ihre letzte Möglichkeit, eine Auslandserfahrung im Studium zu machen. Ihre Familie hat sie im September das letzte Mal gesehen. Über Weihnachten wollte sie nach Hause, doch ihre Flugtickets wurden gecancelt. In der WG findet sie Ersatz: „Es war schön, das neue deutsche Weihnachten zu erleben. Wir haben so viel gekocht wie bei einem italienischen Abendessen.“ Doch eins vermisst sie an ihrer Heimat besonders: „Aperitivo“: „Es ist eine Tradition in Italien. Jeden Tag um 19 Uhr treffen wir uns alle, insbesondere in Norditalien, und dann gibt es Spritz, Mortadella und Brot.“ Durch die Menschen in der Brücke kommt ihre Heimat jedoch hin und wieder zu ihr: „Eine Italienerin aus meiner Nachbar-WG hat ein Paket aus Italien bekommen und wir konnten hier Aperitivo machen. Es ist so ein komisches Erasmus, aber es hat sich jetzt schon gelohnt.“
Adriana ist 22 Jahre alt und kommt aus Lima in Peru. Sie kam mit 19 Jahren nach Deutschland, um hier Kulturwirt mit Spanisch zu studieren. „Ein Studentenleben kann man in Peru nicht haben. Die meisten Studis leben noch bei ihren Eltern und müssen oft zwei Stunden hin und zurück zur Uni.“ Als sie in die Brücke kam, wusste sie, dass sie hierbleiben möchte. „Da war meine ganze Vorstellung vom Studentenleben an einem Ort.“ Zuletzt war sie im März 2020 in der Heimat. Eigentlich wollte sie nur vier Wochen bleiben, doch dann kam der Lockdown. Einen ganzen weiteren Monat saß sie in Peru fest. „Alle Grenzen waren dicht, alles war zu. Es war sehr chaotisch zurückzukommen. Meine Eltern haben es gar nicht verstanden, dass ich wieder zurück wollte. Aber mein ganzes Leben ist schon in Deutschland: Die Uni, die Arbeit, mein Freund und die WG.“ Trotzdem vermisst sie ihre Familie: „Mein Familienleben geht weiter in Peru und es gibt so viele Momente, die ich verpasse.“ Gerade die Wochenenden waren für die große Familie immer sehr wichtig. „Sonntag war immer Familientag. Mir fehlt sowas. Aber es macht mich hier sehr glücklich, dass ich mit sechs Leuten zusammen wohne. Ohne Leute, die zusammen frühstücken, quatschen oder abends Fernsehen gucken, würde ich es nicht aushalten.“
Tianyi kommt aus dem Nordosten von China und ist 27 Jahre alt. Er ist seit 2015 in Deutschland und studiert Industriedesign an der Folkwang Universität der Künste. Seit 2018 war er nicht mehr in der Heimat, da es letztes Jahr zu schwierig war, einzureisen. Er hätte 22 Tage in Quarantäne gehen und zwei Tests machen müssen. Die Flüge waren kaum bezahlbar. „Die Corona-Politik läuft in China umgekehrt: Dort haben sie direkt einen kompletten Lockdown gemacht und es dann immer weiter gelockert. Es ist eine striktere Politik, aber sie ist besser.“ Seine Eltern wollen deshalb, dass er wieder zurückkommt. „Meine Oma ist krank und wohnt bei den Eltern. Wenn ich zurückgehen würde, könnte ich das Semester zwar online machen, müsste mich aber gleichzeitig um meine Oma kümmern und mir überlegen, wie ich mehr Einkommen habe.“ In Deutschland ist das Leben generell entspannter. „Das chinesische Leben ist viermal schneller“, wie er sagt. Deshalb gefällt es ihm hier besser. Seine Familie vermisst er trotzdem: „Letzte Woche habe ich von meinen Eltern geträumt. Wir waren schon lange nicht zusammen. Aber hier habe ich sechs Mitbewohner und ein gemeinsames Wohnzimmer. Das genieße ich sehr.“
Harisoa ist in Madagaskar geboren und aufgewachsen. Sie ist 22 Jahre alt und mittlerweile seit fünf Jahren in Deutschland für ihr Studium der Energie- und Umwelttechnik. Jedes Jahr fliegt sie über den Sommer in die Heimat, doch 2019 war sie das letzte Mal dort. „Ich hatte Angst, dass sie die Grenzen zu machen“, sagt sie. „Mein Vater wollte auch nicht, dass ich nach Madagaskar komme, da ich meine Prüfungen nicht verpassen sollte.“ Dafür telefoniert sie drei Mal die Woche mit der Familie. Doch wenn sie erfährt, dass sie etwas zusammen unternehmen, vermisst sie sie sehr. „Meine Familie hat letztes Jahr viele Feiern veranstaltet, Geburtstage und Hochzeiten, während ich hier saß und nichts tun konnte.“ Vor allem an Weihnachten sehnt sie sich nach ihrer Heimat: „Weihnachten ist Litschi-Zeit. Man kann kaum glauben, wie man an einem Tag so viele Litschis essen kann.“ Aber auch im Studentenwohnheim hat sie Weihnachten mit ihren überwiegend muslimischen Mitbewohner:innen gefeiert. „Man versucht, alle Kulturen aufzunehmen, deshalb habe ich auch ein paar Tage beim Ramadan gefastet. Man lernt jeden Tag etwas Neues und hat immer jemanden zum Reden. Deshalb ist es hier perfekt.