CAMPUS
Als ich mich in der Prüfung übergeben habe
In unserer Serie Campuserlebnisse erzählen Studierende von ihren schönsten, peinlichsten, kuriosesten oder verwirrensten Momenten an der Universität Duisburg-Essen...
Es war der letzte Credit, der mir zu meinem akademischen Abschluss fehlte. Bologna verspricht in dem Fall, dass dreißig Arbeitsstunden ausreichen, um die Prüfung erfolgreich zu bestehen. Nie zuvor hatte ich eine Lehrveranstaltung, die mit nur einem Credit vergütet wurde. Und obwohl die Prüfungsleistung in meiner Vorstellung quasi geschenkt sein musste, wendete ich jede Lernmethode an, die irgendwann einmal ein pädagogisch beseelter Hochschuldidaktiker erfunden hatte: Ich schrieb Karteikarten, fasste Vorlesungen zusammen und erzählte meiner Küchenwand eine Woche lang von nachhaltiger Ernährung. „Genieß es einfach. Du wirst nie wieder eine so einfache Prüfung schreiben“, waren die letzten aufbauenden Worte einer Freundin am Telefon. Eigentlich hatte sie ja recht. Es bestand absolut kein Grund zur Sorge.
Ich versuchte mich auf ihren Vorschlag einzulassen, gönnte mir einen Caramel-Latte und nahm meinen skurrilsten Kugelschreiber mit – ein Werbegeschenk vom Waffenproduzenten Rheinmetall. Redete mir ein, ich würde ein Lieblingskleidungsstück besitzen, zog dieses an und redete mir dann weiter ein, ich sei unbesiegbar. Diese angeblich empowernde Esoterik hatte mir mal einer der zahlreichen Erfolgstrainer in einer Focus-Kolumne beigebracht. „Ziehen Sie sich vor Herausforderungen Klamotten an, in denen sie sich stark fühlen“, hieß es darin. Meine Herausforderung waren nicht die Klausuraufgaben, sondern meine Prüfungsangst. Mein super-softer Pullover erscheint mir dabei im Nachhinein eher schlecht gewählt. Vielleicht hätte ich mir doch das Wonderwoman-Kostüm meiner Mitbewohnerin ausleihen sollen.
Ich schöpfte so ziemlich jede Möglichkeit aus, um mich sicher und wohl zu fühlen. Es funktionierte – bis sich bei Aufgabe fünf mein innerer herrschsüchtiger und ungerechter Diktator bei mir meldete. Wie eins der elektrischen Warnsysteme in Autos etwa der Spurhalteassistent, der einen sehr unangenehmen Warnton los gibt, wenn die fahrende Person von der Spur abkommt, feuerte er los: „Streng dich gefälligst an, du Nichtsnutz. Schließlich willst du nur wegen einem Credit kein Semester länger studieren, du Vollidiotin. Das kannst du dir finanziell auch gar nicht erlauben, du Waschlappen. Wahrscheinlich schaffst du es beim nächsten Mal auch nicht und dann landest du eines Tages auf der Straße, du Schande für deine Generation.“
Der Kopf raste, das Herz klopfte. So laut, dass ich mir eingebildet hatte, es könnte sich jeden Moment durch meinen Brustkorb bohren. Das Wissen, mehr als gut vorbereitet zu sein, half mir auch nicht. Es wurde von meiner Prüfungsangst erstickt. Diesen Zustand kannte ich bereits. Das erste Mal begegnete ich meinem inneren Peiniger vor meinen Abiturprüfungen. Wochenlange schlaflose Nächte und Blackouts in den Prüfungen zogen sich von da an durch meine gesamte Bildungslaufbahn. Als ich am Anfang meines Studiums eine Expertin aufsuchte, lernte ich den Umgang mit meiner Prüfungsangst. Ich suchte nach den Triggern, die meine Unsicherheit auslösen. „Diese können ganz unterschiedlich sein: Einige reagieren auf Gruppengrößen, andere auf das Augenzucken von Lehrenden“, sagt Cora Siegmund-Besser, die sich als Psychotherapeutin mit Versagensangst beschäftigt. Dass Lehrende kurzsichtig sind, spielt dabei keine Rolle, denn das emotionale Bewusstsein erinnert sich in diesem Moment an ein typisches Verhalten eines besonders erbosten Lehrenden in der Vergangenheit. „Diese Emotion setzt Betroffene dann auf ein so hohes Stresslevel, das der Verstand nicht mehr hinterher kommt“, sagt Besser-Siegmund.
Dieses Stresslevel kann dann ganz unterschiedliche Auswirkungen haben. Nicht selten breitet sich dann eine plötzliche dunkle leere im Kopf aus. Wäre das Gehirn ein Computer, wäre das ein plötzliche Datenverlust. „Festplattenfehler. Kein Zugriff“, poppt dann im Kopf auf, bis der Computer herunterfährt und nichts mehr geht. Mit einer guten Vorbereitung und kurzen Pausen an der frischen Luft in den Klausuren bekam ich die Blackouts in den Griff.
Es kommt trotzdem immer anders als man denkt. Das bewies mir der Kampf um meinen letzten Credit. Ab der fünften Prüfungsaufgabe erreichte ich ein so steiles Stresslevel, dass ich anfing zu schwitzen. Mein Magen gluckste und mir wurde schlecht. Dass ich es nicht mehr auf die Toilette geschafft habe, war ebenso für meinen Sitznachbarn nicht schön anzusehen. Ich musste mich übergeben. Die Prüfung bestand ich trotzdem – ich hoffe mein Sitznachbar auch.
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